In der Corona-Krise  –  Fontane  Der Stechlin


    Bei dem kurzen Besuch Woldemars bei den Barbys vor seiner Abreise nach England – die Familie hatte durch die Anstellung des alten Grafen längere Zeit dort verbracht; auch waren die beiden Töchter dort geboren worden – bot sich die Gelegenheit [wohl vor allem auch für Fontane selbst, dem die verschiedenen Roman-Gestalten häufig als Sprachrohr dienen], ihre Ansichten über die Engländer, ihre Vorzüge auszutauschen, über dieses Land im Allgemeinen, von dem man eine hohe Meinung hat, und man konnte Woldemar einige Tipps mit auf den Weg geben. Vor allem von Melusine, seiner zukünftigen Schwägerin, die sich am ausgiebigsten in London umgesehen hatte und daher über Land und Leute am besten Bescheid zu wissen scheint, erhielt er Hinweise auf Sehenswürdig- keiten, den Hyde Park, Hamptons Court, auf Orte, die er "unbedingt sehen muss". Dazu gehörten auch skurrile und solche gruselige Einrichtungen wie das Traitors-Gate, durch das berühmte Personen, "Verräter" wie Sir Walter Raleigh und Thomas Morus, in den Tod geschickt worden waren.
[Hier lässt Fontane auch nicht aus anzumerken, dass noch in jüngerer Zeit ein Premierminister (Palmerston) einen Prinzen aus Königlichem(?) Haus an das ominöse Traitors-Gate erinnert hat.]
    Anzumerken ist, dass die Sprache auch auf die Engländerinnen und ihre Vorzüge kommt, vor allem durch Melusine, die einmal als kokett (ihr "Sichbiegen und -wiegen in den Hüften") charakterisiert wird und die Woldemar nahelegt, auf die ausgesprochene Anmut englischer Frauen zu achten, was etwas merkwürdig anmutet, da es doch der Zukünftige ihrer Schwester ist, dem sie dies nahelegt.

    Bevor ich an der Stelle wieder einsetze, bis zu der ich zuletzt gekommen war, dem "Antrittsbesuch" des jungen Brautpaares beim Alten im Stechlin'schen Herrenhaus, will ich auf einen Punkt eingehen, er betrifft das Unbefriedigende meiner Inhaltsangabe, das der selektiven Methode der Komprimierung geschul- det ist, einer Methode, die zwangsläufig mit Weglassungen verbunden ist: so werden eine Reihe von Personen, beispielsweise in der Umgebung des Alten Stechlin als auch in Globsow, der benachbarten Ortschaft, die der Handlung des Romans erst eine Breite geben und die das Gesamtbild entstehen lassen, unter- schlagen, angefangen mit Engelke, seinem Diener; ebenso die Honoratioren des Dorfes sowie Funktionsträger – Superintendent Koseleger, die Gundermanns, Krippenstapel, der Lehrer, Lorenzen, der Pastor, Katzler, der Oberförster usw.

    Nur kurz genannt hatte ich auch die zwei engsten Freunde Woldemars, die ihm vom Autor beigegeben sind: Rex und Czako, die ihn u.a. beim gemeinsamen Besuch beim Alten Stechlin und und anschliessend bei seiner Tante Adelheid im Kloster Wutz begleiten und die als zwei recht unterschiedliche Charaktere mit gegensätzlichen Lebensphilosophien geschildert werden: Rex, eher der Zurück- haltende, scheint sein Leben nach strengeren sittlichen Grundsätzen auszu- richten, wohingegen Czako freizügige Ansichten und dementsprechend einen recht lockeren Lebenswandel pflegt.