In der Corona-Krise  –  Fontane  Der Stechlin


    Der Besuch Woldemars mit seiner Braut in Begleitung Melusines – der alte Graf Barby bleibt lieber zu Hause – im Herrenhaus in Stechlin ist für den zweiten Weihnachtsfeiertag geplant. Vorher ist er im Hause Barby am Kronprinzenufer zu Gast, wo man den Heiligabend gemeinsam begeht; anwesend sind weitere Persönlichkeiten, die auch schon bei früheren Gelegenheiten aufgetreten sind: Cujacius, der Maler und Wrschowitz, der Kritiker die markantesten, letzterer durch seine nachdrücklich vorgebrachte Beteuerung, wie sehr er die "Krittikk liebt". Die Schilderung dieses Heiligabends hat einmal mehr satirische Züge, wenn ein von Cujacius gemaltes Bild, eine Darstellung der Anbetung der Heiligen drei Könige an der Krippe, vorgestellt wird, auf dem er sich selbst, den Grafen und Wrschowitz portraitiert hat, letzteren als Mohrenkönig mit Wuschelkopf. Er, der Tscheche, und Cujacius, der den Ruf eines Krakeelers hat, geraten bei einer Gelegenheit darüber aneinander, welche Malerei als bedeutend zu gelten hat; ein Streit, der in gegenseitige Beschimpfungen ausartet, für Wrschowitz ein Anlass, ein Sprichwort zu zitieren: "Der Deutsche lüggt, wenn er höfflich wird". Cujacius, erregt, belegt seinerseits den Kontrahenten mit beleidigenden Ausdrücken und Bezeichnungen wie "Kaschube, Wende, Böhmake".

    Als sich die drei – Woldemar und die Barby-Schwestern – mit der Bahn auf den Weg nach Stechlin machen, ist bei ihrer Ankunft die Landschaft von einer Schneedecke bedeckt. Neben dem Alten Dubslav ist auch seine Schwester Adelheid, die Domina, zugegen. Während er besonders an Melusine Gefallen findet, ist Adelheid ("herb wie ein Holzapfel") den beiden Schwestern gegenüber reserviert; es ist offensichtlich, dass sie, vor allem aber Melusine, ihr wesens- fremd sind und sie sich in ihrer Gegenwart unbehaglich fühlt.

    Das Besuchsprogramm für die beiden Schwestern ist ähnlich dem des Besuchs Woldemars und der beiden Freunde, Rex und Czako, einige Monate zuvor: Aussichtsturm, See, das Dorf, die Kirche, und schliesslich noch das "Museum", das besonders Melusines Interesse geweckt hat. Bei den Begeg- nungen mit Veteranen der vorangegangenen Kriege von 1864, 1866 und 1870/71, so auch mit dem Dorfschulzen Kluckhuhn, entwickeln sich "historisch-retrospektive" Gespräche, unter anderem über jenen Rolf Krake, der sich bei der Erstürmung von Düppel (im Deutsch-Dänischen Krieg von 1864) hervortat, sowie allgemein über die Verluste, die man in diesen Kriegen erlitten hatte. Ein Gespräch zwischen dem Dorfpolizisten Uncke und dem "Herrn Major" dreht sich um das "politische Leben", das Parlamentarische, die Lage nach der von den Sozialdemokraten gewonnenen Wahl.
    Nachdem man den See, der von einer Eisdecke bedeckt ist, in Augenschein genommen und festgestellt hat, dass man auf das vielfach angekündigte Schauspiel, die Fontäne (oder Sprudelstelle), leider verzichten muss, da trennen sich die Gruppen: während Armgard, die wie verzaubert zwei im Schnee herum- springende Eichhörnchen beobachtet hatte, in das Herrenhaus zurückkehrt, verfolgt ihre Schwester Melusine noch ein weiteres Kulturprogramm. Nach einem Besuch in der Kirche und einem ausführlichen Gespräch mit Pfarrer Lorenzen über Grundsatzfragen, im Besonderen aber darüber, was aus Preussen seit dem Soldatenkönig, einem "rocher de bronce", geworden ist, mit der Fontane-typischen Ironie "nicht gross und doch auch wieder ganz gross", bekommt sie noch eine Führung durch das etwas scherzhaft so betitelte "Museum", mit der vom Alten Stechlin zusammengetragenen Sammlung von Kuriositäten, es einem Engländer nachmachend, der historische Türen sammelte wie die, durch die Ludwig der Sechzehnte und dann auch Robespierre den Weg zum Schafott angetreten hatten. Ausser dem Küstriner Schlossfenster, durch das der junge Friedrich angeblich die Hinrichtung seines Freundes Katte mitansehen musste, haben es dem Alten vor allem Wetterfahnen – symbolträchtig: sie zeigen an, "woher der Wind weht" – angetan; an ihnen lassen sich auch die "Zeichen der Zeit" ablesen: Wetterfahnen in Gestalt eines Derfflinger Dragoners beispielsweise oder eines Dragoners vom Regiment Königin von Grossbritannien und Irland.