In der Corona-Krise  –  Fontane  Der Stechlin


    Inzwischen ist das Sommeranfangs-Wochenende mit ein paar Tagen mit dem ersten richtigen Sommerwetter vorbei, an denen ich mich auch wieder auf eine Parkbank setzen und im Stechlin weiterlesen konnte, bis zu der Stelle, wo sich die ersten Anzeichen seiner Krankheit zeigen, an der er am Ende sterben wird. Hier werden noch einmal Angaben über das Alter, seines sowie das seiner Schwester Adelheid, gemacht, die mir nicht mehr geläufig waren: er ist siebenundsechzig, sie ist zehn Jahre älter.

    Die Trauung Woldemars und Armgards findet in der Berliner Garnisonkirche statt, die "nach Ansicht vieler bloss ein grosser Schuppen" ist, danach Abreise des Brautpaares in Richtung Süden nach Italien, in die Stadt, die angeblich wenig von einem italienischen Charakter hat, Verona, in der man allerdings an den Namen Capuletti und Montecchi nicht vorbeikommt, dann nach Venedig, und nach Rom natürlich, wo man, aus dem protestantischen Brandenburg, ob lutherisch oder reformiert, kommend, am Katholizismus nicht vorbeikommt. Doch auch auf der Strecke dorthin passiert man am Trasimenischen See einen historisch bedeutsamen Ort, den man, so lässt Fontane uns wissen, nicht aus- lassen darf: den Fluss, dessen Wasser sich bei der schicksalhaften Schlacht, in der die Römer den Truppen Hannibals unterlagen, vom Blut rot färbte. Am Rande bemerkt Fontane noch, dass Napoleon beabsichtigte, den See, der ziemlich flach ist, trockenzulegen und an der Stelle eine neue Provinz zu gründen.

    Der Alte Stechlin hatte, als er zur Trauung seines Sohnes nach Berlin gekom- men war, noch ein Gespräch mit dem alten Grafen, in dem sie ihre Gedanken über den Gang der Dinge, die Entwicklungen der letzten Jahrzehnte, austau- schen; dem Grafen, der nach den langen Jahren in England wieder zurück ist, gefällt vieles noch nicht – "Überall ein zu langsames Tempo!" –; dagegen gibt Dubslav mit Hinweis auf den 18.März 1848 zu bedenken, dass es auch sein Gutes habe, wenn alles nicht zu schnell ginge. Weiterhin: darüber, was von einer längeren Regierungszeit Kaiser Friedrichs – sie dauerte bekanntlich leider nur 99 Tage – zu erwarten gewesen wäre, sind beide skeptisch: er wäre wohl, wie Dubslav meint, mit seinen beabsichtigten Reformen "an der Quitzow-Ecke", d.h. an dem Widerstand der konservativen Kräfte, der Junker, die früher "den Hohen- zollern aus der Hand gefressen haben", der ostelbischen Grossgrundbesitzer, zu denen sie im übrigen selber auch gehören, gescheitert.
    Zu ihrer Unterhaltung stösst noch Melusine hinzu; sie erinnert an das Brautpaar, das gerade nach Dresden unterwegs ist, und gibt zu bedenken, dass es ein Wunsch Woldemars war, mit seiner Armgard vor die Sixtinische Madonna zu treten; erst recht findet sie es bedenklich, dass er sie in "das Land der Madonnen" führt. Andererseits: es werde sich auch eine Gelegenheit ergeben, in Rom das Café Cavour zu besuchen und dort eine Berliner Zeitung zu lesen, denn man sei ja jetzt Weltstadt mit einer weltmännischen, über Charlottenburg hinaus bekannten Presse.