Corona-Krise  –  Mein  Krisenmanagement


    Eine weitere Woche ist vergangen, in der ein leichter Gewöhnungseffekt eingetreten ist – beim Gehen auf der Strasse (ohne Maske), beim Einkaufen im Supermarkt (mit Maske). Hatte nicht mehr das dringende Bedürfnis, weitere Nahrungsmittel (Reis, Nudeln, Fertiggerichte) auf Vorrat einzukaufen, die Angst vor andauernden Engpässen ist im Moment gering. Bin auch an einem gut bestückten Regal mit Toilettenpapier vorbeigelaufen; nur ein Stück Seife habe ich vorsichtshalber mitgenommen.

    Und über das Materielle hinaus: was geht mir sonst noch im Kopf herum, um mit der Situation besser zurechtzukommen, fällt mir vielleicht etwas ein, womit ich der Krise sogar etwas Positives abgewinnen kann? Mit einem Versuch etwa, nach Jahren der Abstinenz – mit nur wenigen Anläufen: einmal mit zwei Abhand- lungen von Freud, u.a. Die Zukunft einer Illusion, sowie neulich mit Sartres Die Wörter, wobei ich über die ersten Seiten nicht hinausgekommen bin –, wieder mit dem Lesen anzufangen... Die Zeiten meines Viel-Lesens liegen etwa dreissig Jahre zurück!
    Erste Einfälle, was ich lesen könnte: Dostojewskis Schuld und Sühne, ein Wieder-Lesen, nach wievielen Jahren? Dann erinnerte ich mich an einiges nicht Gelesenes wie Die Dämonen, oder nur teilweise, wie Die Brüder Karamasow, von dem ich nur den zweiten Teil kenne, den ich in der Goldmann-Taschenbuch-Ausgabe in meinem Bücherregal stehen habe.
    Ein weiteres Buch, das etwa ebenso lange ungelesen im Regal steht: Fontanes Der Stechlin; vielleicht sollte ich mit ihm anfangen.

    Aber bevor ich ein Buch in die Hand nehmen und mit der Lektüre beginnen kann, muss ich zuerst einmal Erinnerungen beiseite schieben, an Situationen in der Vergangenheit, die mit bestimmten gelesenen Büchern verknüpft sind: an einen Urlaub auf Elba beispielsweise mit der Madame Bovary vor über vierzig Jahren, oder an St.Valéry an der Kanalküste mit der Éducation Sentimentale als Livre de Poche, gelesen teilweise in einem Hotelzimmer auf dem Bett liegend. Und der Zarathustra: ihn habe ich ebenfalls bei einer meiner Rucksack-Touren in den Südfranzösischen Bergen dabei gehabt, was den reichlich ramponierten Zustand des Reclam-Bändchens erklärt.
    Bei der Madame Bovary denke ich auch gleich an die Effi Briest, die ich erst viel später gelesen habe, mit Fontane hatte ich es nicht so; Frau Jenny Treibel, für C. damals recht trockene Pflichtlektüre in ihrem Studium, fand ich ebenfalls etwas dröge.
    Gehe ich in meinen Erinnerungen noch weiter zurück, dann lande ich schliesslich in meiner Schulzeit, als ich Krieg und Frieden und Schuld und Sühne gelesen habe, ebenso Hemingways Wem die Stunde schlägt (nachts im Bett, wie noch früher Karl May, von dem ich über fünfzig Bände, manchmal mit der Taschenlampe unter der Bettdecke, verschlungen habe). Auch die Edgar-Wallace-Krimis habe ich nicht durch die Verfilmungen, sondern durch die roten Goldmann-Taschenbücher kennengelernt.
    Eine weitere Lektüre aus der Zeit tauchte in meiner Erinnerung wieder auf: Th.Wolfes Schau heimwärts, Engel, mit seiner nostalgisch die Vergangenheit beschwörendenen Rückschau, dem sich wiederholenden "O verloren", das einen in eine etwas sentimentale "weltschmerzliche" Stimmung versetzen konnte.