Erich Maria Remarque:  Arc de Triomphe


    Eine Gruppe Amerikaner hat es nicht eilig, sie haben vielleicht noch gestern im Maxim's an der Bar gesessen bei dem günstigen Dollarkurs und hätten gern noch die weiteren Ereignisse abgewartet. Ravic und Kate Hegström sagen sich Adieu, und sie sagt, er möge bald nachkommen. Ravic wartet noch, bis er sie oben an der Reling entdeckt, und sie winken sich zu. Auf der Rückfahrt durch die Normandie mit ihren Obstgärten, den Dörfern mit ihren Kirchen und flachen Ebenen stellt sich bei ihm ein Gefühl von Erfüllung ein: wenn es das Ende sein würde, so war es gut. Er hatte einen Menschen geliebt und ihn verloren. Er hatte einen anderen gehasst und ihn getötet. Beide hatten ihn befreit.
    Lange Kolonnen kommem ihm im Mondlicht entgegen, mit Pferden, wie 1914, denkt er, und keine Tanks. Es ist die Mobilisation. In einem kleinen Restaurant isst er etwas. Im Radio wird gemeldet, dass Paris verdunkelt wird, wegen möglicher Luftangriffe. Es sei eine Vorsichtsmassnahme, man verhandele noch, vielleicht komme es nicht zum Krieg. Die Deutschen werden Polen nehmen, dann werden sie Elsass-Lothringen verlangen und die Kolonien, meint die Wirtin. Geben wir es ihnen doch gleich.
    Zurück im Hotel wird er von der Wirtin erwartet. Es sei eine in Nummer sieben verrückt geworden, sie solle am besten aus dem Haus kommen. Sie habe Réfugiés aufgenommen, aber eine Verrückte, die schreit, das sei zuviel. Es ist die Frau, deren Junge gefragt hatte, warum er Jude sei. Sie presst sich in die Ecke und schreit: "Licht, Licht! Sie kommen, Kakerlaken!" Der Mann versucht vergeblich, sie zu beruhigen, und Ravic gibt ihr eine Spritze. Er geht hinauf in sein Zimmer mit seinen Büchern, Seneca, Schopenhauer Plato, Rilke, eine Bibel... zuviele, um sie alle mitzunehmen. Er sieht seine übrigen Sachen durch, seine alte Decke und den Mantel würde er brauchen. Das Gift in dem ausge- höhlten Medaillon hatte er schon im deutschen Konzentrationslager, es ist beruhigend, es bei sich zu haben. Es ist noch etwas vom Calvados da, er schenkt sich ein Glas ein und denkt an die letzten fünf Jahre Leben zurück. Es war gut gewesen.

    Das Telefon klingelt, Ravic hebt schläfrig ab. Es ist Joan.
    "Du musst – "
    "Nein. Lass mich in Ruhe. Ich komme nicht."
    "Hilf mir – " Joans Stimme klingt gebrochen, "etwas ist passiert – "
    "Ich kann dir nicht helfen – ... Es ist keine Zeit für dieses Theater mehr."
    Er legt auf und versucht weiterzuschlafen. Das Telefon klingelt wieder und
    wieder.
    Er ist jetzt nicht mehr müde; einen Kaffee und ein Croissant, denkt er, nicht weit ist ein Bistro, das die ganze Nacht geöffnet ist. Als er gerade im Bad ist, klopft es an der Tür. Es ist nicht Joan, sie wäre gleich hereingekommen. Vielleicht die Polizei? Er öffnet, ein Unbekannter in einem Smoking steht vor der Tür. Er fragt: "Sind Sie Doktor Ravic?" er müsse sofort zu Joan Madou kommen, sie habe einen Unfall gehabt, mit einer Waffe. Ein fingierter Selbstmordversuch, denkt Ravic, noch lächelnd. "Sie stirbt", flüstert der Mann – es ist der Schau- spieler, mit dem Joan zuletzt zusammen war – er habe sie erschossen. Mit seinem Wagen fahren sie mit abgeblendeten Scheinwerfern durch die abge- dunkelte Stadt. Ravic drängt den Mann, schneller zu fahren, "fahren Sie mit Scheinwerfern, zum Teufel!"