" Es ist so natürlich, dass der Geist als das Höchste und über alles Herr- schende
gilt. Es wird gelehrt. Was kann, schmückt sich mit Geist, verbrämt sich. Geist ist, in Verbindung mit
irgendetwas, das Verbreiteste, das es gibt. Der Geist der Treue, der Geist der Liebe, ein männlicher Geist,
ein gebildeter Geist, der grösste Geist der Gegenwart, wir wollen den Geist dieser und jener Sache hochhalten,
und wir wollen im Geist unserer Bewegung handeln: wie fest und unanstössig klingt das bis in die untersten
Stufen. Alles Übrige, das alltägliche Verbrechen oder die emsige Erwerbsgier, erscheint daneben als das
Uneinge- standene, der Schmutz, den Gott aus seinen Zehennägeln entfernt.
Aber wenn Geist allein dasteht, als nacktes Hauptwort, kahl wie ein Gespenst, dem man ein Leintuch borgen
möchte, – wie ist es dann? Man kann die Dichter lesen, die Philosophen studieren, Bilder kaufen und
nächteweise Gespräche führen: aber ist es Geist, was man dabei gewinnt? Angenommen, man gewönne
ihn, besitzt man ihn dann? Der Geist ist so fest verbunden mit der zufälligen Gestalt seines Auftretens! Er
geht durch den Menschen, der ihn aufnehmen möchte, hindurch und lässt nur ein wenig Erschütterung
zurück. Was fangen wir mit all dem Geist an? Er wird auf Massen von Papier, Stein, Leinwand in geradezu
astronomischen Ausmassen immer von neuem erzeugt, wird ebenso unablässig unter riesenhaftem Verbrauch von
nervöser Energie aufgenommen und genossen: Aber was geschieht dann mit ihm? Verschwindet er wie ein Trugbild?
Löst er sich in Partikel auf? Entzieht er sich dem irdischen Gesetz der Erhaltung? Die Staubteilchen, die in
uns hinabsinken und langsam zur Ruhe kommen, stehen in keinem Verhältnis zu dem Aufwand. Wohin, wo, was ist
er? Vielleicht würde es, wenn man mehr davon wüsste, beklommen still werden um dieses Hauptwort Geist?!"
So eine geballte Ladung Geist! Ich versuche, etwas davon mit soviel Verbrauch von nervöser Energie als
nötig in mich aufzunehmen.
Kein Rauch ohne Feuer... kein Geist ohne – ja was? ohne Ungeist? Dieses Un-Wort verweist auf ein
dunkles Kapitel, das gelegentlich mit ihm belegt wird, auf die Zeit des Nationalsozialismus. Doch es ist erhebender,
zunächst einen helleren Geist zu beschwören, den strahlenden Geist der Lumières,
der Aufklä- rung, und ihn jenem entgegenzusetzen, der mit seinem Ansinnen, alles "Undeutsche" in der Literatur
und der Kunst auszumerzen, in der Bücher- verbrennung auf dem Bebelplatz in Berlin gipfelte.
"Begeistert – entgeistert – geistlos": Erscheinungsformen des Geistigen auf einer niedrigeren,
profaneren Stufe.
Zu dem einen Hauptwort lassen sich etliche Nebenwörter finden; als eines der
wohlklingendsten erscheint mir die Vergeistigung; weiterhin die Geistes- haltung,
oder, mehr aus dem praktischen Leben gegriffen, der Geistesblitz.
Geisterbahn, Geisterfahrer, Geistererscheinung: "Es kam ihm so vor, als hätte er einen Geist gesehen"...
nein, damit befinden wir in den Niederungen der Unterhaltung, der Spukgeschichten von Schlossgeistern, der
Dame in Weiss und Gaslight: der Geist zum Poltergeist degeneriert.