" Diesem Mittelstand der Bildung glich nun Arnheim wie eine prächtige gefüllte Gartennelke
einer dürftigen, am Wegrand entstandenen Steinnelke... Er war kein Snob, kein Anbeter des ihm überlegenen
Teils der Vornehmen; bei Hof eingeführt und in Berührung mit dem Hochadel wie mit den Spitzen der
Bürokratie getreten, suchte er sich keineswegs dieser Umgebung als Nachahmer, sondern nur als Liebhaber
konservativ feudaler Lebensgewohnheiten anzupassen, der seine bürgerliche, sozusagen Frankfurterisch-Goethesche
Herkunft weder vergisst, noch vergessen machen will..."
" Er war wohl innerlich überzeugt, dass die schaffenden Menschen – und an ihrer Spitze,
sie zu einem neuen Zeitalter zusammenfassend, die das Leben lenkenden Kaufleute – berufen seien, die alten
Mächte des Seins irgendwann in der Herrschaft abzulösen, und das gab ihm einen gewissen stillen Hochmut,
dem die seither eingetretene Entwicklung das Zeugnis der Berechtigung ausgestellt hat; aber wenn man diesen
Herrschaftsanspruch des Geldes auch als gegeben voraussetzt, so war doch noch die Frage offen, die angestrebte
Macht richtig anzuwenden. Die Vorgänger der Bankdirektoren und Grossindustriellen hatten es leicht, sie waren
Ritter und machten aus ihren Gegnern Hirschsuppe, wofür sie die Waffen des Geistes dem Klerus überliessen;
der zeitgenössische Mensch dagegen besitzt zwar im Geld, wie Arnheim es verstand, die heute sicherste Methode
der Behandlung aller Beziehungen, aber wenn sie auch hart und genau wie ein Fallbeil sein kann, kann sie auch so
empfindlich wie ein Rheumatiker sein – man denke bloss an das Ziehen und Lahmen in den Kursen beim geringsten
Anlass! – und hängt auf das zarteste mit allem zusammen, was von ihr beherrscht wird."
" Durch dieses zarte Zusammenhängen aller Lebensgebilde, das nur blinder Ideologenhochmut
vergessen kann, kam Arnheim dazu, im königlichen Kauf- mann die Synthese von Umsturz und Beharren, Macht und
bürgerlicher Zivili- siertheit, vernünftigem Wagnis und charaktervollem Wesen zu erblicken, zuin- nerst
aber eine Symbolgestalt der sich vorbereitenden Demokratie; durch rast- lose und strenge Arbeit an seiner eigenen
Persönlichkeit, geistige Organisation der ihm zugänglichen wirtschaftlichen und gesellschaftlichen
Zusammenhänge und durch Gedanken über Führung und Aufbau des gesamten Staats wollte er einer neuen
Zeit in die Arme wirken, wo die durch Geschick und Natur un- gleichen Gesellschaftskräfte richtig und fruchtbar
geordnet sind und das Ideal an den notwendigerweise einschränkenden Realitäten nicht zerbricht, sondern
sich reinigt und befestigt. Um das mit sachlichem Anklang auszudrücken, hatte er also die Interessenfusion
Seele-Geschäft durch Ausbildung der Dachvorstellung Königs-Kaufmann zur Durchführung gebracht...
Aber fraglich und ungewiss war es, ob Arnheim, wenn er von Seele sprach, selbst an sie glaubte und dem Besitz
einer Seele die gleiche Wirklichkeit zuschrieb wie seinem Aktienbesitz. Er benützte sie als einen Ausdruck
für etwas, wofür er keinen anderen hatte. Hinge- rissen brachte er die Rede auf sie, als wäre ihr
Dasein als so sicher anzu- nehmen, wie man das des Rückens voraussetzt, obwohl man ihn nicht sieht."
Lässt man die "Interessenfusion Seele-Geschäft" am Ende einmal beiseite, wird hier mit Arnheims
"ideologiefreien" Gedanken über die "Synthese von Umsturz und Beharren, Macht und bürgerlicher
Zivilisiertheit", über die Vor- stellung vom Aufbau und dem Wirken eines zukünftigen demokratischen
Staates nicht das sozialdemokratische Modell formuliert?