Schliesslich warfen sie sich an Tagen, an denen sie nicht glücklich waren – das kam jetzt manchmal ohne
äusseren Grund, ohne einen Anlass, vor – diese Geständisse vor und beschuldigten sich gegenseitig,
dass sie unvollständig gewesen seien.
– Du liebst sie noch, sagte sie.
– Ich soll noch an sie denken?
– Lüge nicht, Henry, du träumst von ihr, du vermisst sie.
– Wen denn?
– Was weiss ich? mich, die eine oder andere, die du geliebt hast.
– Aber ich liebe nur dich, das weisst du, ich habe nie eine andere geliebt.
– Ist das wahr, Kind, sagte sie mit einem Augenaufschlag, ist das wahr?
Und sie rückte näher an ihn heran.
– Das fragst du? sagte er, umfing sie mit den Armen und drückte sie an sich.
– Wiederhole es... sag es mir immer wieder.
Nun war sie es, die nachdenklich seufzte.
– Was hast du? fragte Henry.
– Ich habe nichts... lass mich:
– Ja, ich lasse dich, denk nur an ihn.
– An wen?
– Was weiss ich? hast du mir denn seinen Namen genannt? du verheimlichst mir alles.
– Der! grosser Gott! er soll verdammt sein, wenn ich noch an ihn denke!
– Wie du mich später verdammen wirst, wenn ein anderer mich an deinen Gedanken erinnern
wird.
– Kannst du das glauben! ist das wahr? machst du Scherze?
Und sie sah ihn starr an, wobei sie ihm einen flammenden Blick zuwarf
– Sage mir, dass du das nicht gedacht hast, Henry... schnell, sag es, ich warte.
Henry hatte es vielleicht fünf Minuten vorher gedacht, dachte es aber fünf Minuten später
nicht mehr.
Es war eine unbestimmte Angst, die sie in ihrem Glück quälte; sie hatten bedrückende Vorahnungen,
auf die wieder Augenblicke der Hoffnung folgten. Sie lachten nicht mehr, sogar wenn sie allein waren, sprachen
sie leise miteinander; sie wagten nicht mehr, in Paris auszugehen, aus Angst, zusammen gesehen zu werden. Mme
Émilie machte sich nicht mehr über M.Renaud lustig, stichelte jedoch immer ein wenig, wenn von Mme
Lenoir die Rede war. Henry selbst konnte nicht herausbekommen, ob diese Eifersucht vorgetäuscht oder echt
war, mit einer solchen Beständigkeit spielte sie in Anwesenheit ihres Gatten darauf an und unterliess es,
wenn er nicht da war.
So vergingen die Tage, die Nächte dagegen hitzig und glühend. Sie erschien ihm jedesmal schöner,
sie entwickelte Variationen der Wollust, in denen ihr Geliebter sich wie ein Gefangener in einer Kette des Verrats
vorkam; er spürte, dass er sie bis in die Eingeweide liebte und dass sie ihn mit einer unwider- stehlichen
Kraft in ihren Bann zog. Manchmal sträubte er sich gegen diese Anziehung, doch er unterlag ihr jedesmal.
Es war eine Verführung, die grösser wurde, wenn man über sie nachdachte, ein Schwindel, der ihn
anzog.