Sie waren ängstlich und misstrauisch geworden, waren beunruhigt über ihre Träume und versuchten,
in ihnen einen verborgenen Sinn zu entdecken, der ihnen ihre Zukunft erhellen würde.
– Du wirst heiraten, sagte Émilie manchmal zu Henry, du wirst eine andere Frau lieben, du
wirst mich vergessen.
– Und du, sagte er daraufhin mit Bitterkeit, glaubst du, dass deine Liebe von längerer Dauer
ist als eine andere?
– Sie wird so lange andauern wie ich selbst, sagte sie; sie ist mein Leben, deine jedoch wird als
erste aufhören.
Gezwungen, sich diese Vorhersage immer wieder aussprechen zu hören, fürchtete unser Held sich vor
ihr, und da seine Eitelkeit sich vorausschauend dagegen auflehnte, überwachte er sich selbst und verschrieb sich
ganz dieser Liebe, die schon tief in seinem Herzen verwurzelt war. Er hatte tausend sonder- bare Hemmungen, tausend
Vorlieben; ein Verlangen nach einer anderen Frau erschien ihm als Diebstahl und Sakrileg; er hütete sich davor
wie vor dem Teufel, da er seiner Geliebten die ausschliessliche und vollständige Verehrung gelobte. Er wusste
allerdings, dass es schönere als sie auf der Welt gab, doch war keine auf dieselbe Art schön, keine
ebenso schön für ihn.
Er hätte gewollt, dass das lange Kanapee, auf dem sie am Tage sass, ausschliesslich für sie
angefertigt und ihr von ihm geschenkt worden wäre; dass niemand anderer auf den Teppich, auf dem sie mit nackten
Füssen lief, einen Blick werfen sollte; ja sogar, dass ihr Mund, wenn er sich für die einfachsten und
belanglosesten Wörter öffnete, sich nur für ihn öffnen sollte; mit einem Wort, dass ihr
gesamtes Leben wie eine geheime und einzigartige Melodie wäre, die er mit seinen Händen komponiert
hatte.
Früher, in der ersten Zeit ihrer Vereinigung, hatten sie sich ihr ganzes Leben anvertraut; sie hatten es
beide gewollt, um sich näher, bis in die Tiefen ihrer Vergangenheit, kennenzulernen, so dass sie sich die
Herzen bis zum Grund und bis zu ihren Verletzungen öffneten. Henry hatte ihr von der Liebe seiner Kindheit,
mit sieben Jahren, zu einem kleinen Mädchen erzählt, die mit ihm spielte, von seiner anderen Liebe zu
einer anderen Frau, der er auf der Strasse begegnete, dann seine länger dauernde Leidenschaft für die
Miederwaren-Händlerin, bei der er auf dem Weg zum Kolleg vorbeigekommen war, und von dem leicht
genosse- nen Glück mit den Strassenmädchen, sowie von all seinen Träumen und all seinen
Wünschen. Im Vergleich dazu war Mme Émilie weniger oft verliebt, obwohl sie älter war. Sie hatte
M.Renaud, von dem sie glaubte, dass sie ihn anbetete, wie sie sagte, jung geheiratet, weil er sie hübsch
fand; bald jedoch fühlte sie sich als Witwe ihrer Illusionen und fand sich in einer schrecklichen Einsamkeit
wieder. Zu der Zeit war ein Mann erschienen, ein Mann, deren Namen sie nicht nannte; ihn hatte sie geliebt, er war
fortgegangen, sie dachte nicht mehr an ihn, es war so lange her! das war vor zehn Jahren. Da immer, sogar bei
den ehrlichsten Geständnissen, etwas bleibt, das man nicht sagt, ist es wahrscheinlich, dass sie in ihrem
Leben mehr erlebt hatte, als sie erzählte, aber war es Scham, Liebe oder Unerfahrenheit, über diese
Dinge zu sprechen, die sie daran hinderte, mehr preiszugeben?