Die erste Éducation Sentimentale


    Sie erkundigte sich danach, was er während der Ferien gemacht hatte.
  – Wohin bist du gegangen, um meine Briefe zu lesen? ich habe mich in meinem Zimmer eingeschlossen, und dann habe ich sie an meinem Herzen getragen. Hat man dich gefragt, ob du eine Geliebte hast? was hast du geantwortet, Henry? Wollte man wissen, ob sie schön ist?
    Dann liess sie ihn schwören, dass er keine andere angeschaut habe und dass das Souvenir seiner Émilie ihn wie ein allmächtiger Talisman vor jeglicher Versuchung bewahrt habe, was Henry ihr zwanzigmal schwor, denn sie fragte ihn häufig danach, – nicht dass sie ihn einer Unwahrheit verdächtigte, sondern um dessen sicherer zu sein.

    Am Ersten und am Fünfzehnten jedes Monats gab es wie im vergangenen Jahr immer diese geselligen Abende, an denen dieselben Personen zusammen- kamen. An diesen Tagen war Émilie bedrückter:
  – Ich mag es nicht, sagte sie, dass so viele Menschen um uns herum sind. Weshalb muss ich das ertragen! Wie all diese Leute auf mir lasten und mich verdriessen! diese Frauen, wie verrückt und eitel sie sind, nicht? Gefallen sie dir? du magst sie, sie sehen dich an, sie versuchen, dich auf sie aufmerksam zu machen.
  Sie sah ihn mit ihren grossen schwarzen Augen schmachtend an.
  – Ich habe so sehr Angst, dich zu verlieren, weisst du, ich habe jetzt nichts anderes mehr zu erwarten, als dass deine Liebe von Dauer ist, daher befürchte ich alles, alles macht mich misstrauisch; ich sage mir: "Er liebt mich, doch wird er mich morgen noch lieben? Vielleicht wird eine schönere oder leidenschaft- lichere..."
  – Sei still, sei still, sagte Henry, verärgert wie in den Anfangstagen ihrer Leidenschaft, du weisst, dass es nicht so ist, du hast es eben noch gehört.
  – Sie muss so stolz sein, die Frau, die du liebst! deine Liebe ist wie eine Krone, man stelle sich die vor, die euch darum beneiden.
  – Und wer beneidet dich?
  – Alle, oder alle können mich beneiden; du kennst nicht, Kind, all diejenigen, die dich begehren; ich beobachte sie nämlich, nimm dich vor ihnen in acht!
  – Du täuschst dich.
  – O nein! ich habe recht, ich habe bestimmt recht; und dann, wer würde da nicht schwach werden? du bist so gutaussehend, so süss! vor allem deine Stimme!
  Und sie drückte ihn an sich in einem zärtlichen Überschwang, der etwas Trauriges hatte.

    Ein andermal wiederum kam Henry zu ihr, und sie stiess ihn zurück:
  – Liebe mich nicht mehr, ich will dich nicht mehr lieben, ich würde dich nur unglücklich machen, du könntest daran sterben.
  Dann, indem sie zurückwich, als hätte sie ein Verbrechen begangen:
  – Nein, im Gegenteil, liebe mich... liebe mich so, wie du mich liebst, und noch mehr, mit ganzer Seele!... lass mich nicht allein, denn wenn du nicht mehr da bist, bin ich innerlich leer... verlasse mich nicht, denn dann werde ich sterben!