Für sie war Henry immer stark und schön, sie bewunderte die ausserordent- liche Form seines Kopfes,
für ihn war sie immer ausnehmend schön, und er betete das feuchte Glühen ihres sanften Blicks an.
Es war ein unerschöpfliches Bedürfnis nach sich selbst, das sich, indem es gestillt wurde, immer
wieder erneuerte, das ununterbrochen neu entstand, das weder ein Ende noch einen Aufschub kannte, sondern
noch anwuchs.
Sie beschenkte ihn täglich mit tausend immer neuen Schätzen der Liebe. Bald waren es herrliche
Sehnsüchte, die sein Herz schmelzen liessen, oder aber bittere Augenblicke des Aufgewühltseins und
eines lustvollen Schmerzes bis hin zum Delirium; manchmal überzog sie ihn mit wildem Zuschnappen, wobei
sie sich auf das Fleisch ihres Geliebten stützte und das Emaille ihrer weissen Zähne mit der Wildheit
der antiken Venus aufeinanderschlug, während ihre Hand, bedächtig und die ganze Zeit voller
Zärtlichkeit, ihm unter der Haut brennende Ströme erzeugte, die einen Toten zum Leben erwecken
konnten, unwidersteh-liche Begierden, für die man seinen Vater verkaufen würde, um eine Sekunde lang
die Spitze eines ihrer Nägel zu spüren; nachts, wenn sie ihre Ausrufe erstickten aus Angst, dass man sie
hören könnte, und sie sich selbst den Mund mit dem Arm verschloss, wand sie sich in Zuckungen, brach
plötzlich in Lachen oder in Tränen aus und bedeckte ihn mit verschlingenen Küssen; dann, auf
einmal ruhig geworden, sprach sie ihn verwirrt an, während sie den schweiss- nassen Kopf hob und ihn mit
ihren starren Augen ansah, die wie Fackeln leuchteten.
Ein andermal, sie kam von irgendeinem Besuch zurück und war noch vollständig angekleidet, mit ihrem
grossen Hut mit einer weissen Feder, die sich ständig bewegte, mit ihren Handschuhen, die ihre Handgelenke
umschlossen, und in niedlichen Lackschuhen, in ihrem Kleid, das über den Boden schleifte und um sie herum
etwas Lässiges verbreitete; sie übergab ihm all diese Sachen unordentlich in seine Arme, damit er sie
nach Herzenslust zerknittern und zerwühlen sollte; sie frisierte extra ihre Haare, damit er ihr den Kamm
wegnehmen und ihr die geglätteten Strähnen wieder zerzausen sollte; sie kleidete sich lange an,
wählte die feinsten Stickereien, ihr neuestes Kleid aus, damit Henry ihr in einer Anwandlung anfallartig
das Schultertuch herunter- reissen, den Knoten mit seinen Zähnen lösen und diese sorgsam ausgesuchte
Aufmachung, die nur für ihn geschaffen worden, die ausdrücklich für ihn bestimmt, die zu dem Zweck
vorgesehen war, um sogleich für seinen tollen Spass herzuhalten, mutwillig zerstören sollte.
Wenn sie als letzte die Treppe hochgingen, pressten sie ihre Hände aneinander; zwischen zwei Türen
umarmten sie sich; bei Tisch berührten sich ihre Kniee. Wenn im Salon Leute waren und Mme Émilie
mit Décolleté und leicht bekleidet als die Hausherrin von einem zum anderen ging, umgeben von den
Huldigungen der Alten und der stummen Begehrlichkeit der Jungen, wie Henry dann innerlich vor Stolz bei dem
Gedanken lächelte, dass diese bedeckte Schulter sich für ihn entblösste, dass diese verborgenen
Brüste, deren Form man durch die Kleidung hindurch erahnte, sich seinen Lippen hingaben, dass diese sanften
Augen für ihn in einem Licht erstrahlten, von dem alle diese Leute keine Ahnung hatten, und dass sie sich in
diesem Augenblick in ihrer Anwesenheit und ihnen zum Trotz noch durch ihre Erinnerung und ihr Verlangen vereinten!