Die erste Éducation Sentimentale


    Und wenn es wieder Nacht wurde, wenn sie sich zur gewohnten Stunde ihres Zusammenseins wiederfanden, ganz für sich allein und ihre verborgene Lust auskosteten wie Diebe, die ihren Schatz betrachteten, sagte Henry zu ihr:
  – Oh! wie stolz du vorhin wieder warst! du hast mich kaum angesehen.
  – Ja, nicht? antwortete sie ihm und gab ihm einen Kuss.
  – Na, wer hätte das gedacht?
  – Wer hat daran Zweifel?

    Auf diese Weise vereinten sich alle Arten der Lust und der Eitelkeit in diesem vollständigen Ganzen, das man Liebe nennt; so wie man alles, was für unsere Augen leuchtet, Licht nennt, von den hellen Streifen, die durch die Mauern der Gefängnisse dringen, bis zum goldenen überirdischen Schleier, den die Tropensonne über unseren Köpfen aufspannt.
    Obwohl sie in demselben Haus wohnten und in in allen Einzelheiten Teil eines Zusammenlebens waren, war es ihnen nicht genug, sie wären lieber ausschliess- lich für sich gewesen ohne lästige Zeugen, sogar mittellos, in irgendeiner Wüste als zwei Robinsons, die sich selbst genügten. Auch wenn sie betrunken sind, verlangen die Betrunkenen zu trinken, und die Liebenden danach zu lieben.

    Henry bedauerte, nicht die grossartigen Übertreibungen nachempfinden zu können, von denen er in den Büchern gelesen hatte, doch keimten in seinem Herzen jeden Tag unaussprechliche Empfindungen, von denen er noch nie geträumt hatte, unerwartete Schauer, die ihn selbst überraschten. An diesem Punkt glaubte er sich am Ende der Liebe angekommen; hatte sie ihn nicht Schritt für Schritt diesen magischen Weg durchlaufen lassen, der zu den Höhen führt, von denen aus man das Leben mit einem solchermassen geblendeten Blick betrachtet? hatte er nicht die Überraschung, das Vorgefühl, die Erwartung kennengelernt? nach und nach Zweifel und Hoffnungslosigkeit ausgeräumt, um das Verlangen zu entdecken und schliesslich den Triumph, und nun endlich, durch ein Liebesglück, das ihm der Normalzustand seiner Seele zu werden schien, den Zustand der Heiterkeit zu erreichen?

    Sie trafen sich in Paris an einer Strassenecke, auf einem Platz; je nachdem wer als erster eintraf. Sie lächelten sich von weitem zu, wenn sie aufeinander zukamen, sie reichten sich sofort den Arm und gingen untergehakt wie Mann und Frau, wie der Liebhaber und seine Geliebte: Henry, der stolz war, eine so schöne Frau an seiner Seite zu haben, Mme Émilie, die stolz war, einen so hübschen Herrn an der ihren zu haben, wobei sie aufmerksam alle Frauen beobachtete, die ihn im Vorbeigehen ansahen.
    Sie redeten über sich und über ihre Liebe, denn wenn sie sich in der Menge bewegten, fühlten sie sich mehr allein und behaglicher. Wenn man sie so eilig auf dem Bürgersteig entlanggehen sah, dann hätte man meinen können, dass sie wegen irgendeines Geschäftes in Eile wären und wie die anderen einem Ziel zustrebten.