Die erste Éducation Sentimentale


    Ich sagte nichts, ich sah sie an, sie mich ebenfalls; obwohl wir noch zwei Schritte voneinander entfernt waren, fühlten wir uns plötzlich ganz nahe, und ich nahm tatsächlich wahr, dass ihr Mund nach Rosenwasser roch. Von ihren Augen ging ein heller Glanz aus, sie schienen vergrössert, erstarrt; ihre nackten Schultern, denn sie war ohne Halstuch, und ihr Kleid schien schlaff am Körper zu zu fallen, waren von einem blassen Rosa, glatt und fest wie polierter Marmor; blaue Äderchen zogen sich durch ihr erhitztes Fleisch, ihre schwer atmende Brust hob und senkte sich wie fast erstickend, was mir die Brust anschwellen liess.
    Das hielt fast ein Jahrhundert an, die ganze Welt war verschwunden, ich sah nur ihre Pupille, die sich mehr und mehr vergrösserte, ich nahm nichts wahr ausser ihrem Atem, das einzige, das die vollständige Stille, in die wir eingetaucht waren, unterbrach.
  Und ich machte einen Schritt und küsste sie auf die Augen, die mild und sanft waren.
  Sie sah mich ganz erstaunt an.
  – Wirst du mich lieben, sagte sie, wirst du mich wirklich lieben?
  Ich liess sie reden, ohne zu antworten, und hielt sie in meinen Armen, dabei spürte ich, wie ihr Herz schlug.
  Sie löste sich von mir.
  – Heute abend werde ich wiederkommen... lass mich... lass mich... bis heute abend... bis heute abend...
  Sie entfloh.

    Beim Essen behielt sie den Fuss auf dem meinen und berührte mich hin und wieder am Schenkel, wobei sie den Kopf zur anderen Seite hin drehte.
Am Abend kam sie endlich zu mir ins Zimmer, wie sie es versprochen hatte. Ich erwartete sie schon, sie hatte den Salon früher als gewöhnlich verlassen, es war noch nicht halb neun; sie trat auf Zehenspitzen ein, leise, und geräuschlos; ich erkannte sie dennoch am Knarren ihrer Stiefelchen. Sie war es, sie hatte zum Zeichen des Stillhaltens einen Finger an den Mund gelegt, sie näherte sich vorsichtig an der Wand, um mich zu überraschen; in der anderen Hand hielt sie den Schlüssel ihres Zimmers, den sie an sich genommen hatte, als ob sie es gerade aufsuchen wollte.
    Sie war in ihrem Alltagskostüm, in ihrem braunen Kleid, mit ihrer Seiden- schürze, ohne Kopfbedeckung und ohne Handschuhe.
  Ich sass da, sie fuhr mit der Hand durch mein Haar, und mein ganzer Körper erzitterte unter ihren Fingern; ich fasste sie um die Taille und zog sie an mich. Ihre Augen leuchteten wie Glut, und ich verbrannte bei ihrem Anblick, meine Seele trank an ihren Lippen alles Leben von dem ihren, und wir genossen ausgehungert dieses unerschöpfliche Glück.
  – Ah! mein Engel, mein Engel! sagte sie, Liebe... Liebe!
  Und so sehr ich mich auch bemühte, ruhiger zu werden, ich verspürte doch gleich ihr, wie ein Rausch der Begierde mich mit seinem Schwall überrollte.