Achtzehntes Kapitel
Weil sie glaubten, glücklich zu sein, waren sie es auch wirklich, da das Glück auf der Vorstellung
beruht, die man sich von ihm macht. Wer es in ein schönes Paar Stiefel setzt, der wird entzückt sein,
wenn seine Mittel es ihm erlauben, sich Reitstiefel zu kaufen, und ein Angler wird zweifellos dem Himmel danken,
wenn er anstatt eines Hechtes eine Forelle fängt.
Ich kannte einen armen Teufel, der am Rand einer grossen Strasse von Almosen lebte; er schlief in einer
Erdhütte, die er sich mit den Händen gebaut hatte, indem er, wenn es geregnet hatte, den Schlamm
zusammenkratzte; ein Mützenmacher im Ruhestand, der ein Gut in der Umgebung gekauft hatte, gab ihm fünfzig
Francs im Jahr dafür, dass er seine Schweine hütete und ihren Stall ausmistete, in dem er auch selbst
mit ihnen schlief, um sie zu versorgen, wenn sie krank waren. Ich bin eines Tages hineingegangen; drinnen konnte
man kaum atmen: "Nun, Monsieur, sagte er, indem er mir den Strohhaufen zeigte, der ihm als Bett diente, ich bin
jetzt glücklich, ich habe ein schönes Zimmer", während der Stallknecht darüber
entrüstet wäre, im Schweinestall zu schlafen, wohingegen er entzückt wäre, im Arbeitszimmer
zu schlafen, was wiederum den Kammerdiener empört hätte.
Mit dem Glück ist es ebenso, ein mehr oder weniger grosser Käfig für kleine oder grosse Tiere;
der Milan würde in dem, in welchem der Zeisig nach Belieben herumfliegt, ersicken, und solche, in denen man
Geier einsperrt, würden für die Löwen den Tod bedeuten; doch seien die Gehege auch klein oder
weiträumig, irgendwann werden sie alle schnaubend und fauchend an die Gitter kommen, zum Himmel schauen
und vom grenzenlosen Raum träumen.
Henry und seine Geliebte lebten ganz und gar von Liebe erfüllt. Die ersten Tage konnten sie es in ihrer
Trunkenheit fast nicht glauben, sie sahen sich voll Verlangen und erstaunt an, mit der Furcht, sie könnten
einander verlieren und in der Hoffnung, dass es immerzu andauern würde. Jede Stunde brachte ein neuartiges
Vergnügen, sie waren am Morgen nicht ebenso glücklich wie am Abend, noch waren sie es des Nachts auf die
gleiche Weise wie am Tag; die gewöhnlichsten oder die nebensächlichsten Dinge hatten für sie eine
besondere Bedeutung. So versprach sie ihm, sie werde zu einer bestimmten Stunde ein Möbelstück
verrücken, dies sei ein Signal, dass sie an ihn dachte, und wenn die Zeit näherrückte, wartete
Henry darauf; er seinerseits versprach, dass er mit den Füssen laut auftreten werde, und sie hörte
seine Schritte, wobei sie sich mit beiden Händen an das Herz fasste. Henry ging hinunter in den Garten, um
zu lesen, und er traf dort auf Mme Émilie, die ganz zufällig ebenfalls dorthin gekommen war; oder
Mme Émilie nahm ihr Zeug, um in der Gartenlaube ihre Näharbeit aufzunehmen, woraufhin Henry ganz
plötzlich hinter einem Baum hervortrat, so dass sie zusammenzuckte. Diese kleinen Vorkommnisse stellten
für sie grosse Abenteuer dar.