Es war allerdings offensichtlich, dass der Vater Renaud ein geborener Gatte sein musste, um von alledem nichts
zu bemerken; man hätte sogar meinen können, dass die Nachlässigkeit der beiden Liebenden einige jener
häuslichen Zusammenstösse provozieren sollte, die das bürgerliche Leben farbiger machen und ihm
die Eigenschaften von Kunst verleihen. Tausendmal am Tag betrat Mme Renaud das Zimmer Henrys, ging Henry in das
von Mme Renaud; wenn sie sich irgendwo begegneten, sprachen sie halblaut miteinander, sie gingen kurz nacheinander
aus dem Haus und kamen fast zur selben Zeit zurück; sie zeigten sogar vor aller Augen eine Art von geistiger
Vertrautheit, die, wie sie sagten, dazu führe, dass sie gern zusammen waren.
Vor allem Mme Renaud legte nicht die bei ihrem Geschlecht gewohnte Zurückhaltung an den Tag; eines Tages
wettete sie mit Henry, dass sie während des gesamten Essens aus seinem Glas trinken werde, was sie auch
im Beisein ihres Gatten ausführte, der völlig damit beschäftigt war, eine witzige Geschichte zum
Besten zu geben und daher überhaupt nichts merkte. Sie amüsierte sich sehr über eine solche Art
von versteckten Herabsetzungen. So ergriff sie auch, wenn man über zwei Dinge sprach, gleichgültig, was
es war, vorausgesetzt, dass sich zwischen ihnen ein Vergleich ziehen oder irgendeine Gemeinsamkeit her- stellen
liess, sogleich das Wort und erläuterte den Gegenstand der Unterhaltung auf eine für die anderen ziemlich
unverständliche Weise, das ist wahr, doch sehr klar für Henry, so voll des Lobes für ihn, jedoch
herabwürdigend für M.Renaud, dass unser Held selbst manchmal darüber ganz erschrocken, aber auch ganz
entzückt war.
Wie er es wohl übel aufgenommen und heftig geantwortet hätte, dieser arme Gatte, wenn er bloss den
Hinweis erhalten hätte, er solle einmal da oben darauf achtgeben, dass in Henrys Zimmer das Licht abends früher
gelöscht wurde als in der Vergangenheit, während es bei Mme Renaud bis sehr spät hell war; oder
wenn ihm jemand gesagt hätte, dass seit einiger Zeit die Türen mit einem fürchterlichen Jaulen
quietschten! Doch er schlief zu früh ein und schnarchte zu laut, als dass er es bemerkt hätte. Pest!
Wer das getan hätte, der hätte kein Lob verdient!
In den ersten Zeiten ihrer Ehe hatte er bei einer Gelegenheit einer Zimmer- frau an ihrem Geburtstag einen
Seidenschal geschenkt, woraufhin sie ihm hässliche Szenen gemacht hatte, die, wenn sie sich wiederholten, für
seine Pension den Ruin bedeuten könnten. Um die Wahrheit zu sagen, machte er sich danach keine Gedanken mehr
wegen der Tugendhaftigkeit seiner Frau, ob sie nun vorhanden war oder nicht, vorausgesetzt, dass sie den Haushalt
gut führte und die Eltern seiner Schüler mit mütterlichen Schmeicheleien umgarnte, und ihm jeden
Morgen seine Strassburger Hausschuhe und am Abend vor dem Schlafengehen seine immer gleiche Tasse mit dem
Kräuteraufguss hinstellte, und vorausgesetzt, dass man damit zufrieden war, wie er den Salat würzte,
sowie mit seinen Geschichten, die er beim Dessert zum Besten gab, mehr verlangte er nicht. Im Übrigen
verdiente er Geld und neigte dazu, die Dinge und die Welt in einem günstigen Licht zu betrachten. Im
Augenblick dachte er über ein neues Handbuch für die Reifeprüfung in Philosophie nach, das seiner
Einrichtung einen vorteilhaften Ruf verschaffen würde und dem er im Jahr darauf eine literarische
Gesellschaft für junge Leute folgen lassen wollte.