Die erste Éducation Sentimentale


   –  Vor allen Leuten! aber sei doch still, Émilie, M.Henry ist hier! du bist verrückt!
  – Verrückt! wiederholte sie und sah ihn starr mit einem furchterregenden Ausdruck an, ja, verrückt vor Schmerz, und Sie sind die Ursache!
  Henry bewunderte sie, sie hatte einen verstörten Ausdruck im Gesicht, der sie unübertroffen machte; sie fuhr fort:
  – Still sein? sagen Sie, aber fordern Sie doch die Gequälten auf zu lachen! ich habe alles ertragen, Betrug, Ekel, Verrat, Einsamkeit, Schmach, Eifersucht, und noch viel mehr, noch viel mehr!
  Sie schluchzte und verbarg dabei ihr Gesicht im Taschentuch.
  – Aber im Namen des Himmels, was habe ich dir angetan?
  – Das fragt er, das fragt er!
  – Ja, das frage ich, wiederholte der Vater Renaud ungeduldig, sag es mir!
  – Ah! Seien Sie besser erzogen! fuhr Mme Émilie trotzig fort, Sie sind grob zu einer Frau, die weint, eine Frau, die sich beklagt, eine Frau, die leidet, weil ihr gebrochenes Herz sich zerreisst.
  Sie verlor von neuem die Fassung und begann wieder zu weinen.

  – Wir Frauen, wir sind nicht so stark wie ihr; ihr habt andere Dinge, wenn euch ein Unglück niederschmettert, wenn euch ein Glaube abhanden kommt, wenn eine Liebe euch verlässt, ihr habt die Wissenschaft, den Ehrgeiz, das Spiel, das Geld, den Ruhm, die Ausschweifungen, das Café, die Jagd, die Pferde, das Billard, und was weiss ich noch? euer Herz aus Granit wird durch nichts angekratzt, es tröstet sich über alles hinweg, ihr zeigt noch stolz eure Wunden. Was macht es euch aus, wenn der Engel, den ihr besudelt habt, zum Himmel aufsteigt, nachdem ihr nicht mehr an ihn glaubt? habt ihr auch Nächte der Verzweiflung, lange voll des Jammers auf glühenden Kohlen verbrachte Nächte, und beraubt jener göttlichen Liebe, die ihr uns immer verweigert, denn ihr empfindet sie nie? Für euch gibt es keine Seele, ihr seid Ungläubige; der Körper, der Körper ist alles, und wenn eure schmutzigen Bedürfnisse gestillt sind, Pech für uns! wir dienen euch nur noch als Sockel für eure verabscheuenswürdige Eitelkeit, oder als Ausschmückung für eure Häuser.
  – Nun gut, sagte der Vater Renaud, ich werde nicht ausgehen.
  Und er nahm seinen Hut wieder ab.
  Darauf trat eine lange Stille ein.
  – Aber warum gehen Sie nicht aus? gehen Sie spazieren, wohin Sie wollen, mein Freund, ich habe nichts dagegen.
  – Nein, ich bleibe, sagte der Vater Renaud, ich bleibe.
  Und er setzte sich auf einen Stuhl.
  – Sie müssen dahin gehen, wo Sie etwas zu erledigen hatten, fing Mme Renaud wieder an.
  – Nein, ich werde morgen hingehen.
  – Doch, Sie haben mir zu gehorchen, gehen Sie.
  – Nein, zum Donnerwetter, es ist nicht dringend.
  – Es soll nicht das, was ich gesagt habe, Sie daran hindern.
  – Nein, von dem Moment an, als ich nicht wollte...
  – Was macht das schon?