Marcelle befindet sich in einem tiefen Zwiespalt, und Zweifel nagen an ihr, als sie die Hand schon am
Telefonhörer hat und auf Daniels Anruf wartet. Vielleicht war es doch falsch gewesen, wie sie gehandelt hat,
sie wollten sich doch alles sagen. Sie versucht sich in Mathieu hineinzuversetzen, wie er sie vielleicht in diesem
Moment, nachdem das Gespräch stattgefunden hat, hassen muss. Sie kann aber auch Daniel keinen Vorwurf machen,
ihm kann man überhaupt nicht böse sein. Er ist der einzige, der sich um mich gekümmert hat, mein
Erzengel, er hat meine Sache in die Hand genommen, hat sich einer Frau, einer schwachen Frau in der Männerwelt
angenommen. Bei dem Gedanken an ihren Erzengel füllen sich ihre Augen mit Tränen, süsse Tränen
des Verlassenseins nach acht harten Tagen, Tränen einer weichen Frau, nachdem sie Marcelle die Harte, Marcelle
die Vernünftige, Marcelle der Mann zu sein hatte.
Das Telefon unter ihrer Hand klingelt, es ist Daniel. Ihr Herz schlägt heftig, als sie fragt, wie es
gelaufen ist. Er antwortet: sehr gut, sogar besser, als er erwartet habe. Sie könne sich etwas beruhigen,
sie hätten Mathieu falsch eingeschätzt. Marcelle verspürt einen bitteren Selbstvorwurf. Sie will
wissen, ob er ihm auch von ihren heimlichen Treffen erzählt habe. Daniel reagiert erstaunt, war das nicht
abgemacht? Er habe es zuerst nicht glauben wollen. Er meinte, Sie beide würden sich doch alles erzählen.
Daniel scheint amüsiert. Er lacht. Ihre Aussprache ver- spricht delikat zu werden, ich würde etwas darum
geben, im Zimmer Mäuschen zu spielen. Er lacht erneut und Marcelle merkt mit unterwürfiger Dankbarkeit,
dass er sich über sie lustig macht. In ernsthaftem Ton fügt er hinzu, dass Mathieu sie sehr liebe,
dass er sich schuldig fühle und sich verabscheue; er wolle sich bemühen, es wieder in Ordnung zu
bringen. Noch an diesem Abend werde er offen mit ihr reden und den Abszess ausdrücken. Marcelle fliesst
über vor Dankbarkeit, er sei so gut zu ihr, sie möchte ihn gleich am nächsten Tag von Angesicht
zu Angesicht sprechen. Daniel antwortet, dass es nicht gehe, sie solle möglichst bald wieder anrufen, dann
verabschiedet er sich kurz und legt auf.
Marcelle geht ins Bad. In einem Zahnputzglas befinden sich drei Rosen. Sie nimmt eine heraus, steckt sie
sich in ihr schwarzes Haar und betrachtet sich im Spiegel.
Mathieu sieht noch eine Möglichkeit, sich das benötigte Geld bei einer Unter- stützungskasse
für Beamte zu verschaffen, bei der in Not geratene Staatsdiener einen Kredit beantragen können.
Als er im Warteraum mit anderen Bittstellern darauf wartet, vorgelassen zu werden, ist ihm unwohl bei dem Gedanken,
hier Unterstützung in Anspruch zu nehmen, die eigentlich für die wirklich Armen gedacht ist, dass es ihr
Geld ist, glanzloses, graues Geld, das nach Kohl riecht.
Als der Sachbearbeiter, dem er seine Papiere vorlegt, die seinen Beruf, Lehrer an
einem Lyzeum, sowie seine Identität bestätigen, ihn fragt, welche Summe er beantragen wolle, antwortet
er: 6000 Francs, und nach kurzer Überlegung setzt er hinzu: machen wir 7000 daraus. Sie kennen unsere Bedingungen,
fragt der Sachbearbeiter, als er Mathieu mehrere Formulare zum Ausfüllen übergibt. Da das Risiko sehr hoch
ist, müssen wir Ihre Unterlagen sorgfältig prüfen. Auf die Frage, ob er das Geld nicht sofort
bekommen könne, ist der Mann erstaunt, es müssten Erkundigungen eingezogen werden, das könne
einige Zeit in Anspruch nehmen. Er kann im Moment für Mathieu nicht mehr tun, er werde benachrichtigt.