JP Sartres Âge de Raison


    Mathieus letzte Hoffnung ist Sarah; um zu erfahren, ob sie bei dem jüdischen Arzt etwas erreicht hat, ruft er sie an, sie ist aber nicht zu Hause. In seinem Kopf geht es hin und her, als er mit dem Bus durch die Stadt fährt. Marcelle heiraten oder sie nicht heiraten, nein, nicht Kopf oder Zahl, er ist frei. Bei seiner Wohnung angekommen hat die Concierge eine Rohrpost für ihn: "Durchgefallen. Ivich". Vor vier Stunden wurden die Ergebnisse bekanntgegeben, er befürchtet, dass sie in der Zwischenzeit eine Dummheit begangen haben könnte. Er leiht sich von der Concierge Geld für ein Taxi und macht sich auf die Suche nach Ivich. Vielleicht ist sie schon nach Laon abgereist. Als Erstes fährt er zum Studentenwohnheim. Nein, Mlle Serguine ist seit dem Morgen nicht dorthin zurückgekehrt. Dann fährt er zur Wohnung von Boris, wo er weder ihn noch seine Schwester antrifft. Er lässt sich zum Booulevard St.Michel fahren, um sie eventuell in einem der Cáfes zu erspähen.
    Nach einer erfolglosen Tour durch verschiedene Bars versucht er es am Montparnasse. Es geht ihm nun gar nicht mehr darum, Ivich vor sich selbst zu beschützen, sondern er hat nur das Bedürfnis, sie wiederzusehen. Eine Be- kannte, die er auf der Strasse entdeckt, hat sie vor einer Stunde getroffen, sie wollte in die Tanzbar Tarantule im Quartier Latin gehen. Dort findet er sie, es ist ein kalter antiseptischer Raum im Souterrain, mit einer Anzahl Tische im Hinter- grund am Rand der erleuchteten Tanzfläche. Sie tanzt mit einem grossen Kerl, mit dem Mathieu sie schon früher gesehen hat, drückt sich eng an ihn, er flüstert ihr etwas ins Ohr, worauf sie mit geschlossenen Augen den Kopf zurückwirft und lacht. Sie sind allein auf der Tanzfläche, am Rand klatschen ein paar junge Leute in die Hände und rufen "Olé".
    Ivich geht, von ihrem Partner eng umschlungen, hinüber, und sie setzen sich zu ihnen. Mathieu spricht sie an: "Ivich!" Mit geöffnetem Mund blickt sie auf, er ist sich nicht sicher, ob sie ihn erkennt. Dann reagiert sie, "Sehen Sie hier!", wobei sie ihre linke Hand hochhebt. Sie hat den Verband abgerissen, man sieht die verkrustete Wunde. Dann steht sie plötzlich auf und sagt zu ihm: " Bringen Sie mich von hier weg!" Er muss sie ein Stück nach draussen tragen. Als sie auf der Strasse sind, fragt er sie, wohin, zu ihr zurück will sie nicht, auch nicht zu Boris. Also entscheidet er, dass er sie mit zu sich nimmt. Unterwegs muss sie sich ergeben, wobei ihr schmächtiger Körper durchgeschüttelt wird. Ihrem Mund entströmt der Geruch des Erbrochenen, den Mathieu begierig aufnimmt.
    Nach mühsamem Treppensteigen bis hinauf zu Mathieus Wohnung fragt Ivich ihn, wie er sie gefunden habe, sie habe die ganze Zeit gehofft, dass er käme. Sie lässt sich auf ein Sofa fallen und ist sogleich eingeschlafen. Sie ist so zart und schwach, denkt Mathieu, und braucht Hilfe, um zu leben. Sie wird nach Laon zurückkehren, und irgendwann wird ein anderer sie kriegen. Und ich werde Marcelle heiraten. Er sieht nach dem Wasser, das er aufgesetzt hat, um Tee zu machen, und als er zurückkommt und sie da liegen sieht, wird ihm klar, dass er sie liebt. Doch es kommt ihm nicht wie ein Gefühl vor; es ist eher der Vorbote eines Unheils. Als der Teekessel pfeift, öffnet Ivich die Augen. "Sie machen Tee? Geben Sie das Päckchen, ich mache Tee auf russische Art. Das ist Ceylon-Tee? Auch gut." Als sie darauf warten, dass der Tee lange genug gezogen hat, sagt sie: "Ich mag Ihre Wohnung nicht. – Das habe ich mir schon gedacht", antwortet er. Sie fragt, ob man nicht die Vorhänge zuziehen könne. Nachdem er ihrem Wunsch nachgekommen ist, sagt Ivich zufrieden: Jetzt ist es Nacht.