Raphael war eingenickt, als Rastignac im Triumph die Tür aufstiess und seinen Hut mit 27000 Francs
ausleerte, die er gewonnen hatte und die sie jetzt untereinander aufteilten.
Für ihn begann nun ein Leben wie in einem Wirbel, mit Ausschweifungen und Genüssen: "Hat der
Mensch einmal diese grossen Geheimnisse im Sturm genommen, schreitet er wie in einer neuen Welt. Generäle,
Minister, Künstler werden allesamt zur Zügellosigkeit getrieben..." Er gewann und verlor hohe Summen
im Spiel und mietete eine Wohnung, die er elegant mit Möbeln aus- stattete, und tat sich mit einigen
literarischen Arbeiten hervor, doch ohne sich wirklich gefährliche Konkurrenten zu schaffen.
Eines Tages traf er Fœdora, als sie beide auf ihren Wagen warteten. Ihr boshaftes Lächeln,
das zu besagen schien: "Ah, finde ich Sie also noch am Leben!" rief in ihm den Wunsch hervor, ihretwillen zu
sterben, oder ihr "seine Liebe zu Füssen zu werfen". Er machte Schulden, stellte Wechsel aus, Wechsel
unterschrieben mit seinem Namen, den er in seinen Phantasmagorien in ganz Europa ausgeschrien hörte. "ICH
SCHULDETE" – was bedeutete, nicht mehr sich selbst zu gehören. Als der Verfallstag verstrich und die
Wechsel zu Protest gingen, verkaufte er die Insel in der Loire, auf der sich das Grab seiner Mutter befand. Mit
dem Erlös hätte er sein altes Leben wiederaufnehmen können.
Doch Fœdora liess ihn immer noch nicht los; er ersehnte sich immer noch die Wonnen einer erwiderten
Liebe, dabei war er vom Gift der Eitelkeit angesteckt. Es war das ausschweifende Leben eines Wüstlings, das
ihn, ein "Galeeren- sträfling des Genusses", auf den Selbstmord hintrieb... So weit die Erzählung
Raphaels, als ihm der Talisman wieder einfiel. Er geriet in Rage, fuchtelte mit dem Leder in der Luft herum und
brüllte, als ob er den Verstand verloren hatte:
"Heda, Respekt vor mir, ihr Schweine, ich will leben, ich bin reich, ich werde 200000 Livres Jahreseinkommen
haben! Alle Weiber sind Evastöchter. Fœdora oder der Tod!
Émile erinnerte ihn daran, in welcher Gesellschaft sie waren, er solle Ruhe geben; Raphael: "Ich bin
Millionär. Ich bin Nero! Ich bin Nebukadnezer!" Er ver- sprach dem Freund, ihm Havannazigarren zu besorgen;
daraufhin bemerkte Émile, er habe ihn, der doch Chefredakteur einer Zeitung werden solle, noch nie so albern
gesehen.
Es war Morgen geworden, und die Gesellschaft kam allmählich wieder auf die Beine – Balzac
beschreibt mit drastischen Ausdrücken den erbärmlichen Zustand, das abstossende Bild, das die von der
Orgie und den Lastern Gezeich- neten abgaben. Die Frauen, mit Gesichtern "fahl und gelb wie das einer Dirne", brachten
ihre Toiletten und die Frisuren so gut es ging wieder in Ordnung. Das Frühstück war aufgetragen worden,
als das Erscheinen eines Notars für Aufsehen sorgte; er fragte nach einem Monsieur le Marquis de Valentin, der,
als nächster Verwandter eines gewissen in Indien verstorbenen Majors O'Flaharty, als sein Erbe von mehreren
Millionen gesucht werde.
Raphael hatte, um dem Freund das Wirken des Talismans zu beweisen, seine Kontur auf einer Serviette
nachgezeichnet. Nun legte er ihn erneut darauf: ein schmaler Abstand zu der gezogenen Linie wurde sichtbar; das Leder
war mit der Erfüllung seines Wunsches nach Reichtum geschrumpft, und das hiess, dass sich damit auch sein
Leben verkürzen würde. Es war ein Anzeichen seines TODES. Von seinen Freunden wurden Wünsche
geäussert, die er ihnen nun erfüllen könne: eine Leibrente von 200000 Francs für Émile,
ein Perlencollier, Equipagen, Kaschmir für Aquilina und für Euphrasie, oder auch das Begleichen von
Schulden. Doch jede dieser Wohltaten ging auf Kosten seiner Lebenszeit. "Muss man sich nicht für Freunde
opfern?" meinte Émile lachend.
Aber Raphael warf einen düsteren Blick auf die Anwesenden.