Da sind zunächst mehrere Briefe an den Rowohlt-Verlag, die Veröffentlichung der
Betrachtung, u.a. gewünschte Veränderungen, "eine bessere Lesart des Stückchens Der
plötzliche Spaziergang", betreffend; einer, am 18ten, ist an Elsa Taussig, Brods Verlobte, gerichtet, ein
weiterer an diesen und an Felix Weltsch, aus denen hervorgeht, dass letztere sich auf einer Italien-Reise befinden,
und auf die Kafka scherzhaft Bezug nimmt, wenn er schreibt, dass "Max uns allen weg- gefahren ist", sowie vom
Verlassensein und dem Neid der Zurückgebliebenen. Die Veränderung, die aus einer Erweiterung einer Zweier-
zu einer Dreier- beziehung für sein Freundschaftsverhältnis zu Max Brod erwachsen würde, muss auf ihn
beunruhigend gewirkt haben, sie bedeuteten aus Sicht Kafkas möglicher- weise einen Verlust, da ihm durch die
Beziehung Brods zu seiner zukünftigen Frau etwas genommen würde.
Ein Brief an Brod Anfang Oktober 1912 zeigt, wie sehr Kafka in praktischen Lebensfragen auf seine
Unterstützung angewiesen war. Er klagt ihm seine unerträgliche Lage, in die er sich durch Forderungen
seitens seiner Familie versetzt fühlt, sich um eine Fabrik seines Schwagers (an der augenscheinlich auch Kafka
selbst Anteile besass) zu kümmern, die wegen einer Geschäftsreise des letzteren im Augenblick mehr oder
weniger sich selbst überlassen war (...wie die Mutter mir fast jeden Abend vorwimmert, ich solle doch einmal
hie und da zur Beruhigunng des Vaters in die Fabrik schauen...), und er von zwei Möglichkeiten spricht, von
denen die eine sei, "nach dem allgemeinen Schlafengehen aus dem Fenster zu springen..., dass ich fest entschlossen
war, ohne Abschiedsbrief hinunterzuspringen...".
In einer Anmerkung in den von ihm herausgegebenen Briefen schreibt Brod dazu: "Ohne Wissen meines Freundes
brachte ich eine Abschrift dieses Briefes zur Kenntnis der Mutter, da ich ernstlich um das Leben Franzens bangte.
Die Antwort der Mutter und weitere zur Beurteilung der Lage wichtige Tatsachen... findet man in meiner Biographie."
War das Datum seiner Bekanntschaft mit Max Brod
deshalb bedeutsam, da diese Begegnung den Schriftsteller Kafka erst möglich gemacht hat, so markiert der 23.
September 1912, das Datum der Niederschrift von Das Urteil, die eigentliche Geburtsstunde Kafkas
als Künstler, worauf er sich in weiteren Werken, die in der sich daran anschliessenden Schaffensperiode entstehen,
der Verwandlung, dem Bericht für eine Akademie u.a. wiederholt bezieht;
in ihnen lassen sich nämlich, wie ich versuchen werde zu belegen, Anknüpfungen, ver- klausulierte
Rückgriffe oder Anspielungen auf dieses erste literarische Produkt, das für ihn zählte und das
für ihn immer eine besondere Bedeutung behielt, entdecken.
Aus den zitierten Tagebucheintragungen lässt sich ein Bild von dem Gefühls- zustand, in dem Kafka
Das Urteil niederschrieb, ableiten, der als ein von Hoffnung geprägtes Abwarten "mit guten
Aussichten" bezeichnet werden kann – Aussicht auf die erste Veröffentlichung, die
Betrachtung, Anbahnung einer Beziehung zu Felice Bauer, die er kurz zuvor kennengelernt hatte, als sie aus
Berlin zu Besuch war – das schlägt sich atmosphärisch in der Erzählung nieder, deren Handlung
auf einen "Sonntagvormittag im schönsten Frühjahr" gelegt ist, mit ihrem hoffnungsvoll gestimmten Anfang,
mit dem Ausblick "auf den Fluss, die Brücke und die Anhöhen am anderen Ufer mit ihrem schwachen Grün".