Ein neues Kapitel  –  Kafka forever!?


    "Ich habe, wie ich im Bett liege, die Gestalt eines grossen Käfers, eines Hirschkäfers oder eines Maikäfers, glaube ich... Eines Käfers grosse Gestalt, ja. Ich stellte es dann so an, als handle es sich um einen Winterschlaf, und ich presste meine Beinchen an meinen gebauchten Leib. Und ich lisple eine kleine Zahl Worte, das sind Anordnungen an meinen traurigen Körper..." – Zitat aus den Hochzeitsvorbereitungen auf dem Lande, fünf Jahre vor Entstehung der Verwandlung.
    Auf dem Weg zum Bahnhof bei strömendem Regen, es hat den Anschein, dass der Regen für die Unternehmung Rabans – er war auf dem Weg zu Betty, seiner Braut, einem ältlichen hübschen Mädchen – eine tragende Rolle spielt, begegnete ihm noch ein Bekannter, und sie gingen ein Stück zusammen:
    'Ja, es ist nach dem vielen, was ich schon unternommen habe, sicher, dass ich morgen zu Betty und zu Mama kommen werde, das kann niemand hindern. Nur ist es richtig und es war auch vorauszusehen, dass mein Brief erst morgen ankommen wird, ich hätte recht gut also noch in der Stadt bleiben und bei Elvy eine angenehme Nacht verbringen können, ohne mich vor der Arbeit des nächsten Tages fürchten zu müssen, was mir sonst jedes Vergnügen verdirbt. Aber schau, ich habe nasse Füsse.'
    Es ist eine Anhäufung widriger Umstände, durch die diese Reise für Raban zu einem Desaster zu werden scheint: die Nässe, Pfützen, Aussteigen im Morast mit nassen Füssen vor dem Wirtshaus, Sorge wegen seines schwachen Magens, der zu fette Speisen nicht verträgt, und nicht zuletzt besorgt um sein Ansehen angesichts seiner Unsicherheit, was Betty über ihn verbreitet haben könnte. Hinzu kommt der Eindruck, dass man unfreundlich zu ihm ist, ihm zu verstehen gibt, er sei hier nicht willkommen. Damit endet dieses erste Manuskript.
    Es wird in diesen letzten Passagen immer klarer, dass da "der Wurm drin" ist, was in eine Art von Zusammenklatschen zweier Ebenen mündet: die Gefühls- Ebene Kafkas beim Schreiben mit seiner Unzufriedenheit und den wachsenden Zweifeln, dass sich aus der Grundidee, der Fahrt zur Braut, noch etwas machen lässt, schlägt unmittelbar auf die Erzählebene durch, in der Weise, dass infolge der Distanzlosigkeit Kafkas der Freiraum für eine Weiterentwicklung so sehr eingeengt wird, dass "nichts mehr geht".
    Nach der von M.Pasley als schriftstellerische Taktik Kafkas bezeichneten Methode des Mystifizierens von Sachverhalten lässt sich hier, denke ich, eine ebensolche Verrätselung erkennen: zum einen werden eigene Gefühle aus dem persönlichen Zusammenhang, der Unmut, wie er in der zitierten retrospektiven Äusserung, er befinde sich "in schändlichen Niederungen des Schreibens", zum Ausdruck kommt, auf die Figur Raban übertragen: die realen Zweifel Kafkas am Gelingen als Verdacht Rabans, nicht willkommen zu sein, sowie als Unsicherheit hinsichtlich der Gefühle seiner Braut.
    Ich gehe noch einen Schritt weiter und übersetze "Braut" mit "Roman": die Reise (wie in dem anderen, oben dargelegten Zusammenhang das "Geschäft") zur Braut ist das Romanschreiben selbst, und in dem Aussteigen im Morast, mit dem sich das Ende ankündigt ("Aussteigen": aufgeben, abbrechen), lässt sich, literarisch umgesetzt, die Wendung "Niederungen des Schreibens" wieder- erkennen.
    So viel zu den Hochzeitsvorbereitungen von 1907, die ich als den in der Verwandlung als Reminiszenz erwähnten, fünf Jahre zurückliegenden "Zusam- menbruch eines Geschäftes" Gregor/Kafka's identifiziere.