Die erste Éducation Sentimentale


    Nach dem Abendessen gingen sie wieder auf der Brücke bei Sternenlicht spazieren; sie hüllte ihn in ihren Mantel ein und sie gingen zusammen unter seinem Dach, denn er war ihnen so bequem, als wäre er dafür ausdrücklich geschaffen. Er war eines dieser ausserordentlichen Kleidungsstücke, die die Geschichte eines gesamten Frauenlebens kennen, die, voller Erinnerungen, früher einmal schön waren und dazu geschaffen, um nach einem Ball beim Ausgang über nackte Schultern geworfen zu werden, so dass der Hermelin auf der Haut erstrahlt und der Samt über die Körper streicht, die man dann hin und wieder an besonderen Tagen entgegen der herrschenden Mode getragen hat, an denen man wie an einem Freund hängt, mit denen Mütter ihre Kinder zudecken, wenn sie klein sind, und die sie sich am Ende bei einer Reise über die Kniee legen, Fetzen von Empfindungen, von Anziehung, von Leidenschaft, von Träu- merei und von Verrücktheiten, Kleidungsstücke, die man benutzt, bis sie unbrauchbar geworden sind und die man nicht den Armen überlässt.

    Was Émilie betraf, so war sie von ausgezeichneter Gesundheit, sie vertrug die Rollbewegungen, die Verpflegung an Bord gut, die brennende Sonne, die kalten Nächte, die Nachtwachen, die Müdigkeit machten ihr wenig aus, sie bekam nicht die geringsten Beschwerden, und der Kapitän bewunderte sie deshalb sehr. Sie hatte übrigens ihr Leben so eingerichtet, als würde sie es ganz auf diesem Schiff verbringen, sie widmete sich regelmässigen Beschäftigungen und hatte fast Spass daran. Zuerst stickte sie für Henry eine Geldbörse, dann ein Paar Pantoffeln, wobei sie so langsam wie möglich vorging, um länger für ihn arbeiten zu können, es bereitete ihr Freude, die Hühner zu füttern, sie warf ihnen Brotkrumen durch die Gitterstäbe; die Bordtauben, die in den Masten sassen, flogen herbei und pickten sie ihr aus der Hand oder aus ihrer Schürze.
    Einmal hatte sie, um sich zu beschäftigen, die Idee, einen Kuchen zu backen, den alle ausgezeichnet fanden, mit Ausnahme von Henry, der nichts von ihm essen konnte, da an diesem Tag die See ziemlich rau war. Ich weiss nicht einmal, ob es ihm sehr gefallen hätte, sie in der Kantine zusammen mit dem Koch mit bis zu den Ellbogen hochgestreiften Ärmeln, mit den Händen tief in der Butter und ganz mit Mehl bestäubt zu sehen. Frauen dieses Schlags haben ausgefallene Vorlieben; sie beispielsweise liebte den Geruch von verbranntem Horn und schätzte den Essig, den sie löffelweise einnahm.
    Doch in die Sanftheit ihrer Hingabe mischte sich eine Art ungebrochener Kraft, einer versteckten Männlichkeit, aufgrund derer sie bezwingend, ja verzau- bernd wirkte; so übte ihre bei einer einfachen Berührung so weiche, warme Hand manchmal einen kraftvollen Druck aus, so wie auch ihr zärtliches Auge bei halb geschlossenenn Lidern in gewissen Momenten einen schnellen, durchdringen- den, bohrenden Blick aussandte; bei alledem herrschte eine ausserordentliche Ruhe, ein Sichgehenlassen in Untätigkeit und Natürlichkeit, ein wenig von verträumter Melancholie, eine reizvolle Einfachheit; es hatte soetwas von einer Mutter der Familie, doch ohne Kinder, von einer Jungfrau ohne Jungfräulichkeit.
    Seit der Zeit, da Henry sie kannte, war sie nicht gealtert; immer noch dieselbe Anmut der Lippen, dieselbe Frische der Haut, derselbe Duft ihres gesamten Körpers, und in seinen Augen gewann sie noch an Adel und Grösse durch das, was sie in den Augen anderer Männer vielleicht herabgesetzt und unattraktiver gemacht hätte.