Sie suchten zunächst Morel auf, der auf ihr Kommen gefasst und daher auch nicht besonders überrascht war;
er ertrug auch geduldig die Bekundungen ihres Schmerzes, ihre Tränen und Seufzer, denn er hatte sich im
Voraus damit abgefunden, was für einen Fall wie diesen viel bedeutete. Um alle Szenen des Lebens spielen
zu können, hängt alles von einer rechtzeitigen Vorbereitung ab, die in den Kulissen getroffen werden
muss; man trifft nicht auf Anhieb den richtigen Ton, man muss die Tonleiter hinauf und hinunter spielen und
manchmal noch darüber hinaus, und gemäss dem Geist der Rolle zwingt man sich innerlich, zu lachen oder
zu weinen, obwohl man nicht die geringste Lust dazu hat. Morel hatte es jedoch nicht nötig, sich zu
Emotionen anzustacheln, da er nur wenig empfänglich für eine derartige delikate Rücksichtnahme oder
für eine solcherart blühende Vorstellung war; er hatte wirkliche Sympathie für ihren Kummer,
jedenfalls so weit, wie man Mitgefühl mit den Schmerzen des Anderen hat; auch mochte er M.Gosselin, den er
seit langer Zeit kannte, seine Offenheit und Redlichkeit gefielen ihm sehr! Seine Vulgarität kam vielleicht
noch hinzu: Wir beugen uns gern allen Analogien unserer Natur, welcher Art sie auch sind, ob niedrig oder hoch;
man neigt mehr zu den ersteren und begeistert sich für letztere.
Er nahm sich der Sache an und bot ihnen seine Dienste an.
– Suchen wir als erstes den Gatten auf, sagte er zu ihnen; reden wir mit ihm, dann, falls wir von ihm
nichts erfahren, wenden wir uns in eine andere Richtung.
Und da er ein tatkräftiger Mann war, schickte er umgehend nach einem Fiaker, drängte unsere beiden
Bürgersleute einzusteigen, und man schlug die Richtung des Renaudschen Instituts ein.
Mme Gosselin, die erschöpft von der Reise war und rotgeweinte Augen hatte, schin ganz krank und
schmerzerfüllt zu sein; ihr Seidenhut mit dem Schleier, der unter ihrem Kinn geknotet war, um ihre Ohren
warmzuhalten, hatte mehr als eine Schramme oder Beule abbekommen; ihre fein gewirkten Handschuhe hatten Risse
bekommen, ihre weissen Strümpfe waren beschmutzt und ihre Schuhe mit den schwarzen Bändern, die um die
Beine geschlungen waren, gaz mit Staub bedeckt. M.Gosselin hatte einen müden Gesichtsausdruck, eine
erschöpfte Hautfarbe und einen ungestutzten Bart; seine Krawatte war unter dem Kinn etwas gelblich, und
vor allem sein baskischer Rock hätte eine Reinigung nötig gehabt. Doch die armen Leute dachten nicht
an ihr Erscheinungsbild.
– Ah! wer hätte das geglaubt, Monsieur Morel! sagte die Mutter, wer hätte mir das vorher
gesagt?
in einem Haus wie diesem!
– Was Sie sagen, Sie Ärmste.
– Ein Haus, das sich selbst mit einem guten Ruf empfahl! wir hatten doch alle möglichen
Erkundigungen eingeholt! mein Gott, o mein Gott!
– So sind wir getäuscht worden, sagte der Vater.
– Eine verheiratete Frau! setzte Mme Gosselin hinzu.
– Das hat nichts zu sagen, antwortete M.Gosselin; das sind die schlimmsten, wenn sie weglaufen, und
die schamlosesten.
– Wirklich? aber wohin, glauben Sie, Monsieur Morel, sind sie gegangen?
– Das müssen wir herausbekommen.
– Letzten Endes überrascht es mich nicht, setzte Mme Gosselin hinzu.
– Wie das?