Das Zimmer Henrys wurde, wie man sich denken kann, noch weniger verschont. Als erstes untersuchte Mme Gosselin
seine Kommode und stellte fest, dass er mit fast sämtlichen Habseligkeiten abgereist war. Alles in allem war
jedoch nichts verändert worden: das Porträt Louises, das Gewehr, die Florette waren an ihren gewohnten
Plätzen, und auf dem Kaminsims befand sich immer noch zwischen den Kerzenständern das Kästchen, in
dem er seine Briefe aufbewahrte. Man öffnete es, es war leer, nur unter einem doppelten Boden hatte Henry
einen alten Brief von Jules vergessen. M.Gosselin begann ihn zu lesen, und da er von Liebe und von Poesie, von
Kunst und von Frauen, von alledem handelte, das nun einmal in den Briefen junger Menschen in dem schönen
Alter steht, in dem sie sich schreiben, zerknüllte er ihn angewidert, als habe er etwas Abartiges und
Ungeheuerliches entdeckt.
– Er befasste sich also auch mit sowas! Hier haben wir ihre Phrasen und ihre ganze Richtung, ihren
ganzen gefährlichen, verschrobenen Unsinn! Hier sehen Sie, er gab ihm den Rat, die Rechtswissenschaft
aufzugeben und wie er mit der Schreiberei anzufangen, ich habe im übrigen diesem kleinen Bengel immer
misstraut, er hat ihm den Kopf verdreht, ihn zu den Übertreibungen angestiftet.
– Das kann sein, das kann sehr gut sein, sagte M.Renaud, der weder Jules noch den fraglichen Brief
kannte, dem es aber sehr recht war, sich als derselben Meinung zu zeigen wie M.Gosselin.
– Das alles sagt uns überhaupt nichts, fuhr jener fort, sehen wir in seinen Unterlagen nach.
Sie blätterten draufhin in seinen Heften und Notizen und lasen die Titel der Bücher, die auf dem
Tisch aufgestapelt waren.
M.GOSSELIN sie eines nach dem anderen in die Hand nehmend – Was ist das? sehen wir
sie uns ein wenig an. Ah! Verse! geschlagener Rahm! fromme Erbauungen! Was hatte er damit zu schaffen?... ein
Chateaubriand! ein guter Autor, doch er hat zu sehr die Priester unterstützt; ausserdem ist er ein Karlist...
Unter alledem sehe ich nicht viel, was mit dem Recht zu tun hat, ich sehe nicht einmal einen Cujas, Monsieur Renaud,
wissen Sie, wo sein Cujas geblieben ist?
– Nein.
– Sie wissen gar nichts! sie sollten doch seine Studien beaufsichtigen und darauf achten, dass er
wenigstens einen Cujas besitzt, Teufel nochmal!
Dann, weiter ein Buch nach dem anderen in die Hand nehmend:
– Was hatte er da? was hatte er da? ... Wenn das alles wenigstens einen Wert hätte! wenn es sich
wenigstens um "gute Autoren" handeln würde!
M.RENAUD – Genau das habe ich ihm immer gesagt, Monsieur, lesen Sie die Klassiker, lesen Sie Racine,
lesen Sie Boileau.
M.GOSSELIN – Ja, Voltaire, Rousseau, La Harpe, Delille... aber nicht!...
Mme GOSSELIN – Er mochte lieber Komödien.
M.GOSSELIN immer noch damit fortfahrend, die Bücher auf dem Tisch zu inspizieren
– Sieh an, und jetzt Schiller! Deutsches! tiefsinnige Gedanken, deutsche Träumereien (zwischen den Zähnen murmelnd und die Namen nach- einander zitierend, ohne jedoch verschiedene
Vorstellungen mit ihnen zu verbinden) ja, Schiller, Herder, Heller, Haller, Schlegel, Wogel, Hegel, jaja,
Feinsinniges, Schwachsinniges, Sachen, die in Mode sind... Was ist das? Was sehe ich da? dieses Buch, das in
Papier eingewickelt ist... er hat darauf "Émilie" geschrieben.
M.RENAUD – Émilie, meine Frau?
Mme GOSSELIN – Sie lieh ihm demnach Bücher aus?
M.GOSSELIN – Das bezweifele ich.
Mme GOSSELIN – Ist es ein schlechtes Buch, mein Lieber? Lass' sehen.
M.GOSSELIN (jede Silbe getrennt aussprechend) – "Notre-Da-me-de-Pa-ris"
(Überrascht) "Notre-Dame der Paris!"
MOREL – Zum Donnerwetter! Das musste sein, er hat mit mir immer darüber gesprochen.