Die erste Éducation Sentimentale

Vierundzwanzigstes Kapitel

     Nach einem Monat der Ungewissheit, der Vorstösse, der Spurensuche und hartnäckiger Nachforschungen erfuhr man schliesslich, dass ein junger Mann, bei dem es sich anscheinend um Henry handelte, in Begleitung einer älteren Dame, die Mme Renaud zu sein schien, sich in Le Havre auf der Aimable-Constance mit dem Ziel New York eingeschifft hatte; dort werde das Schiff eine Ladung für Havanna aufnehmen und wahrscheinlich erst in zwei Jahren wieder zurück sein. Nun riet Morel M. und Mme Gosselin, die er in alle möglichen Ministerbüros, zu allen erdenklichen königlichen Strafverfolgern, zur Polizei, zu den Botschaften begleitet hatte und dessen eigene Geschäfte dadurch schon stark beeinträchtigt worden waren, nach Hause zurückzukehren und dort genauere Einzelheiten abzuwarten, er würde ihnen unverzüglich alle Dokumente und Auskünfte, die er erhielt, zukommen lassen.

    So waren drei Wochen vergangen, seidem sie in ihr Haus zurückgekehrt waren, als sie von Henry selbst einen Brief erhielten. Er begann damit, dass er sie wegen des Kummers, den er ihnen bereitet hatte, um Verzeihung bat, nicht jedoch wegen des Geldes, das er ihnen entwendet hatte. Er schrieb, dass er so handeln musste, dass eine stärkere Leidenschaft ihn getrieben hätte, dass es etwas Unwiderstehliches und Schicksalhaftes sei – M.Gosselin verstand diesen Satz nicht –, dass er nun in New York sei, sich dort einrichten, sein Glück machen und, reich geworden, in wenigen Jahren zurückkehren wolle. Seine Studien würden darunter nicht leiden, er arbeite mehr als je zuvor, man habe ihm sogar eine Stelle als Lehrer an einem College in Aussicht gestellt. Dann würde er etwas von der Welt sehen, würde Erfahrungen sammeln, würde schnell reif werden, sein Verstand entwickele sich bereits. Er berichtete sogar Einzelheiten über das Regierungssystem der Vereinigten Staaten und lieferte eine allgemeine Beschreibung der Ansicht des Landes. Aber er sagte nichts über Mme Renaud, er schrieb nur, dass er sehr glücklich sei und er sich nichts auf der Welt mehr wünschte, als zu erfahren, ob seine lieben Eltern bei guter Gesundheit seien; er gab ihnen seine Adresse und bat sie, ihm zu schreiben und ihre Briefe zu frankieren.
    Noch unschlüssig, wie er sich verhalten sollte, begann M.Gosselin daraufhin einen langen Briefwechsel mit Morel, in dem er ihn unablässig um Ratschläge bat und Fragen stellte. Morel antwortete ihm jedesmal entschiedener, und M.Gosselin schrieb mit immer längeren Erwiderungen zurück. Das Resultat von alledem war, dass man die Dinge ihren Gang nehmen lassen wollte, was hiess, dass man keine Versuche machen werde, auf Henry einzuwirken, der vielleicht eines Tages von allein zurückkommen werde, und ihm weder Nachrichten noch Geld schicken wollte, was ihn vielleicht empfindlich treffen werde.