Die Bäume wachsen im Regen, der ihre Blätter grün werden lässt, sie entwickeln sich bei
Sturm und behaupten sich grossartig bei Unwettern, bis zu dem Tag, an dem ihre Äste abbrechen und ihr
verrotteter Stamm zu Staub zerfällt und von einer nächtlichen Brise davongetragen wird. So ist es auch
mit der Liebe. Die Leiden, die das geliebte Objekt ihr bereitet, lassen sie grösser werden und sich zu Höhen
aufschwingen, um sich noch mehr aufzuschwingen und zu wachsen, wenn sie aber, nicht ablassend, ihre Düfte
auszuströmen, reich an Blumen, mit in die Tiefe reichenden Wurzeln und mit ausladendem Schatten die Höhe
erreicht hat, die zu erreichen Gott ihr erlaubt hat, dann führt Unglück nur zu ihrem Tod. So kam es, dass
mit dem Umstand, für diese Frau Leiden und tausend Qualen zu erdulden, die dieses alles übersteigende Feuer
nach sich zog, etwas von seiner Leidenschaft sich nach und nach verflüchtigte und entschwand.
Er wurde sich dessen gewahr und davon wie von einer neuartigen Schwäche seiner Natur verunsichert. Er hatte
neuerdings, da er gezwungen war, in die Welt vorzudringen, um die in ihr verborgenen Minen auszubeuten, die ganze
Nichtigkeit seiner Fähigkeiten und die Schwäche seiner moralischen Kräfte erfahren, und jetzt
entdeckte er die Armut seines Herzens, das sich in einem Augenblick entleerte. Da erkannte er, wie
eingeschränkt und unfähig er in allen schönen Dingen des Lebens war; zur Mittelmässigkeit
seiner materiellen Lage kam nun das seelische Elend hinzu, und da er befürchtete, diese beiden Unbille
könnten noch anwachsen, sah er eine baldige Zukunft mit einem vollständigen Abstieg von abgrundtiefer
Entsetzlichkeit voraus.
Er zweifelte an sich selbst und an allem, das er geliebt hatte, an den ihm teuersten Zuneigungen und den
herausragendsten Feingefühlen, an seinen beständigsten Empfindungen, an seiner Intelligenz, an seinem
Herzen und an seiner Liebe zu Émilie, die nur noch von der Gewohnheit oder dem Vergnügen getragen
wurde; er zweifelte an der Vergangenheit und fragte sich, ob er wirklich so glücklich gewesen war, wie er es
bisher geglaubt hatte, und ob er in all der Zeit nicht unter einem Zwang geliebt und sich dem Vergnügen
zuliebe Illusionen hingegeben habe; er zweifelte ebenfalls an der Zukunft, er leugnete sie, löschte sie
unter der Last seiner gegenwärtigen Glücklosigkeit aus; er zweifelte auch an Jules, der ihn sicherlich
vergessen hatte, so wie übrigens er selbst ihn vergessen hatte, und mit der Inkonsequenz seiner
Ichbezogenheit nahm er sich vor, ihn später, wenn der Rest der freundschaftlichen Gefühle, die er
für ihn noch hatte, aus seinem Herzen getilgt war, zu hassen.
Émilie selbst spürte sehr wohl das Schwinden seiner Liebe, so wie auch er gleiches bei ihr
verspürte, und vielleicht war sie von den gleichen Ungewissheiten und Ängsten erfüllt; eine
wohlfeile Annahme, die er sich gern zurechtlegte – da er nicht ungewollt auf die gegewärtige niedrige
Parallele absinken wollte, die er zwischen sich und ihr aufrechterhielt – und auf den er unaufhörlich
zurückkam; er wäre gern überzeugt gewesen, er versuchte, sich davon zu überzeugen.