Die erste Éducation Sentimentale


    Vergeblich wollte er sie manchmal dazu bewegen, dass sie aus dieser Ausschliesslichkeit, in der sie sich so sehr gefiel, herauskam, was ihn für einen Augenblick von der Kette befreit hätte, die ihn an sich selbst fesselte, um sie an anderen Gesichtspunkten des Denkens teilhaben zu lassen, doch sie blieb auf denselben Ort fixiert, an dieselben Grenzen gebunden; wohl folgte sie ihm für einige Minuten, solange er von seiner ganz persönlichen Art zu fühlen und wahrzunehmen sprach, doch sobald er zu einer Verallgemeinerung einer Empfindung, zu den letzten Konsequenzen der Tatsachen überging, sobald er zur letzten Erdenstufe gelangte, um sich in unendliche Räume zu erheben, da zeigten ihr erstaunter Blick und ihr stummes Gesicht ihm sehr deutlich an, dass zwischen ihnen ein Abgrund klaffte und sie nichts von der Region wahrnahm, die er ihr mit dem Finger zeigte. Dennoch versuchte er weiterhin ohne ihr Zutun, ja vielleicht sogar unwillentlich, sie mehr in die Weite zu lenken, damit sie sich hin zu einer anderen Sphäre entwickelte; das Übermass dieser Liebe hatte sie übersättigt vor Glück, er wollte das ebenso, doch auf eine andere Art.
    Bei einer in einem Nebeneinander sich entwickelnden Leidenschaft oder einer Empfindung und sogar beim Auffassen einer Idee geht immer einer voran, und der andere kommt zum Scheitelpunkt, wenn ersterer schon darüber hinweg ist oder bereits zurückkommt. Unsere Seelen bewegen sich nicht nebeneinander wie die Pferde einer Kutsche, die an dieselbe Deichsel angeschirrt sind, sondern eine hinter der anderen, ihre Wege kreuzen sich, sie stossen aneinander, entfernen sich und rollen durcheinander wie die Elfenbeinkugeln eines Billards; ihr betet die Frau an, die euch zu lieben beginnt, die ihrerseits euch anbetet, wenn ihr sie nicht mehr liebt und die euer überdrüssig ist, wenn ihr zu ihr zurückkehrt. Übereinstimmung ist im Leben selten, und man könnte die Anzahl der Minuten zählen, in denen zwei Herzen, die sich lieben, im Gleichklang gesungen haben.

    Und er kannte sie so gut! er kannte das Ende des Satzes, den sie begann, auswendig, die Betonung, mit der sie ihn aussprechen, die Geste, mit der sie ihn begleiten, den Blick, der ihm folgen würde; er hatte so oft seinen Kopf auf ihre nackten Brüste gelegt und war mit seinem Haarschopf über die Stellen ihres Körpers gefahren, die sich seinem Blick darboten! jede Pore ihrer Haut hatte so oft seinen Atem gespürt! So viele Male hatte er sie schlafen, aufwachen, sprechen, sich ankleiden, gehen, essen gesehen! er erinnerte sich genau, wie die Morgensonne auf ihr Gesicht traf, wie ihre geschlossenen Lider sich öffneten, daran, wie das helle Tageslicht auf ihrem glatten Haar spielte oder die Strähnen, die sich daraus gelöst hatten und vom Wind hochgeweht wurden, golden erscheinen liessen, sowie an die Blässe ihrer Schultern bei Kerzenlicht! Er mochte noch so weit in all seinen Erinnerungen zurückgehen und nach einem Ereignis in seinem Leben suchen, das nichts mit ihr zu tun hatte, nach einer Freude oder einem Schmerz, an dem sie nicht beteiligt war, überall stiess er auf sie, sie füllte sein Dasein von allen Seiten; seine eigene Persönlichkeit verlor sich darin, er war nur noch ein Schatten.