Die erste Éducation Sentimentale


    So gelangte er nach und nach von der Angst zur Gewissheit, von der Überzeugung, glücklich zu sein, dahin, daran zu zweifeln, von der Trunkenheit zum Abscheu, vom Vergnügen zum Verdruss, und da diese unterschiedlichen Zustände so schnell einander folgten, dass sie gleichzeitig in sein Bewusstsein drangen, entstand in seinem Herzen ein zerstörerisches Chaos, in dem er sich selbst verlor. In ihm selbst, um ihn herum war alles Schmerz, Verstörtheit und Verwirrung; von der Zukunft, diesem Kern des Unglücks, gingen die grössten seiner Qualen aus; die Gegenwart mit ihren tausend Sorgen um das Leben und den bedrückenden Kümmernissen war ebenfalls traurig, und, um sein Unglücksgefühl zu vervollstädigen, erschien die Vergangenheit ihm ganz plötzlich schön, grossartig, wie das Trugbild eines Königs, voll Poesie erstrahlend, mit seinen Verführungen überquellend und mit dem Ruf: ich werde nie wiederkommen! nie!

    Eines Tages – an diesem Tag hatte Henry gerade mit dem Herausgeber einer Zeitschrift einen Vertrag abgeschlossen, nach dem er ihm gegen Bezahlung von einhundert Francs im Monat wöchentlich zwei Feuilleton-Beiträge mit jeweils zwölf Spalten liefern sollte – erhielt er einen Brief von Jules; es war eine Ansammlung von Klagen und Beschwerden in einem hochgestochenem Stil, der vor unpassenden metaphorischen Vergleichen strotzte; der allgemeine Ton war bitter und gekünstelt, mit einer betonten Ironie und gezwungen, wohingegen die sehnsüchtigen Stellen – davon gab es einige – von einer knabenhaften und kränklichen Empfindsamkeit waren. Henry erkannte seinen Freund, der früher einfach und spontan war, nicht wieder; seine Ausdrucksweise überraschte ihn nicht weniger als die Dinge selbst, die er ihm schrieb.
    Jules begann mit einem Klagelied über sein Leben in der Provinz, ein mittelmässiges, am Boden haftendes Leben, mit unsäglichen Beschäftigungen und umgeben von Kleinbürgern; er machte sich über sich selbst lustig und stellte sich lächerlich dar, um Henry zum Lachen zu bringen.
    Dann beklagte er sich darüber, dass er kein herausragendes Laster habe, das ihn glücklich machen könnte, und bedauerte, nicht mit der Leidenschaft geboren zu sein, als Domino aufzutreten, oder mit einer Begabung für das Zeitungs- wesen. Auch hätte er sich ein Liebesverhältnis mit irgendeiner Frau eines Notars oder eines Lebensmittelhändlers gewünscht und eine Freude dabei gehabt, ihren Gatten zu betrügen, so wie es Bürovorsteher und Ladengehilfen eben tun; er fügte übrigens hinzu, dass er den Frauen nicht gefiele, wobei er ihn wissen liess, dass er mehrere abgewiesen hatte, dass er von Zeit zu Zeit ein Bedürfnis nach ihnen habe und sie gern anbeten würde, dass sie ihn aber gewöhnlich anödeten usw.; dass er sie auf die eine Art, nicht aber auf eine andere Art liebe, eine alles in allem wegen der äussersten Knappheit der Gedankengänge recht unverständ- liche Stelle des Briefes – nach den vorangegangenen häufigen Wiederholungen etwas Neues – und in einem zu verschrobenen Ton, um an dieser Stelle angebracht zu werden; hier wurden die Dinge einmal beim Namen genannt, nur begleitet von einer einfachen, aber bildhaften Umschreibung, die zweifellos der Liebe zum Lokalkolorit geschuldet war.