Die erste Éducation Sentimentale


    So nahm er den Verlust seiner grossartigen entschwundenen Leidenschaft hin und versuchte nicht mehr, sich in vergangene Zeiten zurückzuversetzen oder sich eine unmögliche Jugend zurückzugeben, da er sehr wohl begriff, dass nun für ihn ein neuer Lebensabschnitt begann und dass die Liebe ebenfalls ein vollständiges Drama war, das sich im Herzen eines Mannes abspielte, das einen ersten, einen zweiten und schliesslich einen fünften Akt hat, in dem es sterben muss, sei es unerwartet durch einen Stoss mit einem Dolch, oder nach einem langen Todeskampf, nachdem es von wem auch immer vergiftet worden ist, um danach einem Vaudeville oder für eine etwas ernstere, jedoch ebenfalls possenhafte Komödie Platz zu machen. Da er nicht mehr so hohe Ansprüche an sein Herz stellte, fühlte er sich von da an reicher; da er nicht mehr so sehr vom Glück träumte, wurde er zufriedener.

    Das Leben erfordert, um schön zu erscheinen, dass man einen günstigen Standpunkt einnimmt, an dem das Licht des Himmels nicht zu stark herunter dringt und von dem aus die Schatten nicht zu schwarz sind. Alles hängt von der Perspektive ab; erweitert nicht die Horizonte und verkleinert nicht den Vordergrund!
    Es trifft nicht zu zu sagen, dass Henry Mme Renaud nicht mehr liebte; er liebte sie noch immer, jedoch auf eine ruhigere Art, mit weniger Überschwang und Hitze, mit einer Leidenschaft, die heiterer und zurückhaltender geworden ist, die als ihr Gegensatz auf die frühere folgte, ohne wilde Ausbrüche und ohne innere Aufwallungen, und die sich, wie Meister Michel gesagt hätte, ein wenig aus Schwäche zurücknahm.
    Er schlief besser, und auch die Tage verliefen ruhiger; er hatte weniger Ansprüche an sie und empfand im Hinblick auf sie weniger Stolz, er fühlte sich nicht mehr so arm, und Gelassenheit und Sorglosigkeit kehrten wieder in seinem Herzen ein, so wie früher, in der Anfangszeit, als er sich geliebt fühlte. So ähnelt das Ende dem Anfang! so ist die Dämmerung des Abends ähnlich der des Morgens!
    Das, was er von nun an für seine frühere Geliebte empfand – die noch immer seine Geliebte war, jedoch nicht mehr dieselbe – war nur noch eine zärtliche Zuneigung aus Freundschaft und Gewohnheit, ähnlich der, die wir für unsere alten Bekannten und unsere alten Möbel haben. Wenn man lange zusammen gelebt hat, sich als Junge gesehen hat und sich nun als Alte sieht, dann achtet man nicht mehr auf jede Nuance des guten Gefühls von früher, das sich verflüchtigt und zerfällt, ebenso wenig wie auf den Samt, der verschleisst, die Seide, die fadenscheinig wird, die Falten, die sich bilden; man altert fast im Einklang miteinander, ohne daran zu zweifeln, ohne darauf zu achten noch es zu bemerken, und man erreicht auf diese Weise den sanftesten und vollständigsten Verfall des Alters.