Die erste Éducation Sentimentale


    Sobald irgend etwas in ihn Eingang gefunden hatte, jagte er es gnadenlos, wie ein ungastlicher Schlossherr, der möchte, dass sein Palast leer bleibt, damit er nach Belieben darin umherwandeln kann, wo alles vor den Rundumschlägen seiner Ironie flieht, einer schrecklichen Ironie, die bei ihm selbst begann und die noch heftiger und schärfer auf andere ausgedehnt wurde; er hatte fast die Gewohnheit sich zu beklagen aufgegeben, und dennoch fiel er in seine alten Schwächen zurück, in jene Mutlosigkeit und Unentschlossenheit, gefiel sich aber in seinem gegewärtigen Unglück nicht wie früher darin, noch nahm er mit Freuden und mit der hoffnungslosen Hartnäckigkeit, die das Wesen christlicher und romantischer Schmerzen ist, darin Zuflucht; nach immer neuen Abstürzen, Verunsicherungen und Herumtappen gelang es ihm indessen hin und wieder, mit einem sicheren Gefühl eine lange Strecke auf dem Weg seiner Leidenschaften und seiner Ideen zurückzulegen; je weiter er kam, umso mehr gewann er Klarheit und umso mehr konnte er die Sonne sehen, und wie der Wanderer auf einer Bergeshöhe, der ausser Atem anhält und hinter sich bis zum Horizont die Wegstrecke überblickt, die er zurückgelegt hat, sah er jetzt kaum noch etwas von den Schatten, wo sich noch vor kurzem seine Sorgen gelegt, und von den Wasserläufen, die seinen Durst gelöscht hatten.

    Da er seiner Vergangenheit gegenüber ungerecht und zu sich selbst unnach- giebig war, war es ihm in seinem übermenschlichen Stoizismus gelungen, seine eigenen Leidenschaften so weit zu vergessen, dass er die, welche er früher hatte, nicht mehr recht verstand; wenn er sich nicht täglich als Künstler gezwungen gesehen hätte, sie bei anderen zu studieren und zu erforschen, um sie dann in konkretester und überzeugendster Weise zu reproduzieren oder sie in der stilistischen Gestaltung zu bewundern, ich glaube, dann hätte er sie fast verachtet und wäre am Ende zu einer äussersten Verständnislosigkeit gelangt.
    Von daher kam sein Erstaunen, als er in dem Rascheln der abgefallenen Blätter, die er mit seinen Füssen beiseite schob, die Reste eines Schatzes wiederfand, von dem er geglaubt hatte, dass er ihn nie besessen hätte. Er sagte sich, dass er doch einmal jung gewesen war, dass in jener Zeit sein Körper und seine Seele für das Leben gut ausgestattet waren und dass sein gesamtes Sein ganz auf das Glück ausgerichtet war wie eine Pflanze zur Sonne; dass, wenn der Himmel gewollt hätte, er glücklich hätte leben können, und dass es auf der Erde Leute gibt, die Arm in Arm mit ihrer Geliebten gehen und dabei die Sterne betrachten. Kannten andere ausser ihm diese beständigen Qualen, die aus dem Herzen eines Menschen eine Hölle machen, die er mit sich trägt? vielleicht war er in diesem Augenblick das einzige Lebewesen, das solche Gedanken hatte. Dann kamen ihm nacheinander all seine Momente der Verliebtheit in den Sinn, alle die Festlichkeiten, von denen er geträumt hatte, all die Kostüme, die ihm gefallen hatten: Schärpen, die von Balkonen herabhängen, lange Kleider mit Schleppen, die über den Teppich schleifen, seine Illusionen als Kind, die als junger Mann, seine grosse enttäuschte Liebe, die düstere Zeit, die darauf gefolgt war, seine Gedanken an den Tod, sein Hingezogensein zum Nichts, seine plötzliche Wieder- herstellung, seine grandiosen Entschlüsse und seine Verblendung beim ersten Bewusstwerden seiner Intelligenz, sein Pläne, seine Hoffnungen, sein wieder- holtes Erschauern bei Eingebungen zu herrlichen Werken, die Fehlschläge seines Denkens, seine Bewusstseinstrübungen vor lauter Überdruss, sowie die Erniedrigung durch all seine Abstürze, die jedesmal tiefer wurden als Folge der Höhe, aus der sie erfolgten.