Die erste Éducation Sentimentale

  Siebentes Kapitel

    Endlich zog er sich um und ging hinunter in den Salon.
Es war noch niemand eingetroffen. Mme Renaud sass noch ganz allein in einem Sessel nahe beim Feuer, einen Ofenschirm in der Hand, und erwartete die Mitbewohner.
    Obwohl es bereits Dezember war, hatte sie ein weisses Kleid angezogen, die unumstössliche Garderobe der Engländerinnen sowie der kleinstädtischen Notarsfrauen; ein grosser Spitzenumhang, dessen Enden vorn übereinander geschlagen waren, bedeckte ihre Schultern, die breiter als sonst erschienen wegen ihrer Taille, die schmaler war als gewöhnlich. Sie war frisiert, aber um etwas zu variieren hatte sie zwischen die Zähne des Kamms ein kleines Goldkettchen geschlungen, das sich wie eine Schlange in der Frisur verbarg, mit einer Quaste an einem Ende, die ihr über dem Ohr hing.

  – Lieb von Ihnen, sagte sie, als er eintrat, zu ihm, dass Sie kommen, um mir Gesellschaft zu leisten.
  – Ich dachte, es würde schon jemand da sein, sagte er unbeholfen.
  – Andernfalls wären Sie nicht heruntergekommen, entgegnete Mme Renaud lachend.
  – Oh! das habe ich nicht sagen wollen, nur wollte ich nicht als Letzter erscheinen.
  – Schüchtert es Sie etwa ein, einzutreten? etwa wie ein Kind?
  – Ich, schüchtern! – entgegnete Henry, der in seiner Würde eines Mannes von achtzehn Jahren getroffen war – ich schüchtern? im Gegeteil, im Gegeteil!
  – Es wäre nicht verwunderlich, in Ihrem Alter.
  Und in diesen drei Wörtern "in Ihrem Alter" lag etwas schwer zu beschreibendes Zärtliches und Gefühlvolles.
  – Bedauern Sie mich lieber, fuhr sie fort, bedauern Sie mich, denn ich werde mich heute abend sehr langweilen. M.Renaud will Gäste empfangen, das macht ihm Spass. Oh! es werden unerträgliche Leute kommen... Sie werden sehen... Man ist so eingeengt durch die Gesellschaft, so unfrei, dazu gezwungen, auf jede Bewegung, die man macht, zu achten, sich bei jedem Wort, das man sagt, vorzusehen! Oh, was für eine Zumutung!
  Dann fortfahrend, wie wenn sie zu sich selbst sprach:
  – O wie viel lieber ich die intime Gesellschaft wahrer Freunde mag, in der man alles sagen, alles denken darf... Aber man begegnet so selten Menschen, deren Herz dem Ihren antwortet, und die Sie verstehen!
  Sie sagte dies, ausgestreckt auf einem grossen Kissen aus rotem Samt und mit hochgelegten Füssen, langsam, in einem gelangweilten Ton und mit einem melancholischen Gesichtsausdruck.
    Die Herren Sebastien Alvarès und Emmanuel Mendès traten durch den Vordereingang ein, wobei sie sich an der Tür stiessen, beide vornehm und mit Pomade in den Haaren, in braunen Umhängen mit samtenen Krägen, mit sehr langen seidenen Krawatten und sehr offenen Westen; beide grüssten ziemlich linkisch und blieben in einer Ecke stehen, wo sie sich in der Sprache ihres Landes unterhielten.