Wenn jeder Künstler die Aufgabe hat, das Allgemeine, das der Welt und der Natur eigen ist, wiederzugeben,
wobei er, dem besonderen Charakter seines Talents folgend, eine einzigartige Gestalt findet, ohne die die
Besonderheit des Werks nicht möglich wäre; wenn jeder Gedanke eine ihm angepasste Form braucht; wenn
jeder Leidenschaft ein dem jeweiligen Menschen gemässer unterschiedlicher Ton entspricht, und wenn das
menschliche Herz eine riesige Klaviatur ist, die der Denker von Oktave zu Oktave und mit allen Akkorden und
Dissonanzen durchlaufen muss, von den leisesten bis zu den schrillsten Tönen; wenn jedes Feuer seine Flamme,
jede Stimme ihr Echo, jeder Winkel seinen Gegenwinkel hat; wenn jede Scheide passend für das Schwert und die
Sprache für den Gedanken gemacht ist, – wie soll man all diese unterschiedlichen Höhen nivellieren,
das miteinander verbinden, was voneinander getrennt bleiben muss, das angleichen, was keine Beziehung zueinander
hat, und alles in einer Schublade vereinen wollen, alles mit dem gleichen Gewand ausstatten, mit derselben Gestalt
einschliessen wollen, alle diese von ihrem Ursprung her wesentlichen Unterschiede, wie die Nationalitäten, die
Jahrhunderte, die Zeitalter?
Der Funke, der aus dem Stein geschlagen wird, der bleichgesichtige Mond, die feuerrote Sonne, die blinkenden
Sterne, die flammenden Kometen, all das ist Licht, ein einzigartiges Phänomen in unterschiedlichen Erscheinunsformen;
ebenso hat jedes Kunstwerk seine eigene Poetik, mit der es geschaffen wurde und fortbesteht, und die, welche noch
kommen, werden ihrerseits entstehen, nachdem sie sie aus unerschöpflichen Quellen geschöpft haben,
unter- schiedliche Sterne aus einer anderen Welt, Teile des grossartigen Lichts, dessen Ursprung im Unbekannten
liegt. Und ihr, ihr wollt regeln, was die allerhöchsste Regel ist, wollt über das herrschen, was das
Gesetz selbst ist, wollt einer äusseren Symmetrie zuliebe all diese Lichterscheinungen neu ordnen, wollt die
Schöpfung aufhalten und sich ihrer von allen Seiten bemächtigen, ihre Zukunft bestimmen, alle Gestirne
zählen und das Unendliche wiegen!
Nachdem er bei dieser kritischen Unvoreingenommenheit, die seiner Ansicht nach der wahre Sinn der Kritik und
zumindest ihre Grundlage sein sollte, ange- langt war, verzichtete er darauf, Parallelen zu ziehen, bei denen man so
schwache Antithesen aufstellt und die beiden einander gegenübergestellten Begriffe so sehr verwässert,
dass man unweigerlich ein ebeso falsches Resultat erhält.
Infolgedessen entdeckte er Schönheiten in Werken, die er nicht besonders mochte, und einzigartige Schwächen
in anderen, die er für makellos gehalten hatte; er wurde in seiner Abneigung gegen die akademische und die
Universitäts- literatur bestärkt, nun nicht mehr, weil er einer anderen Schule angehörte, sondern im
Gegenteil aus Liebe zu den grossen Meistern, die von einer geist- losen Begeisterung beeinträchtigt und von all
diesen verkürzten Verherrlichungen herabgewürdigt wird. Die Theorien, die Abhandlungen, die Ergüsse im
Namen des Geschmacks, die Erklärungen gegen die Barbarei, die Gedankengebäude über das Schöne,
die Verteidigung des Althergebrachten, all diese Verwün- schungen, die man zur Verteidigung der reinen Sprache
vorgebracht hat, all der Schwachsinn, der in der Diskussion über das Erhabene geschrieben worden ist, all das
diente ihm nur dazu, sich mit dem Geist der unterschiedlichen historischen Schulen und der Epochen in all ihrer
lächerlichen Eitelkeit bekannt zu machen, für uns von Nutzen nur noch durch das Übermass an
Lächerlichkeit. Sie glaubten ein Gebäude für die Zukunft zu errichten und ein unvergängliche
Monument zu hinterlassen, und nun ist das, was sie mit grossem Aufwand errichtet haben, schneller verschwunden als
ihre Namen und ist zu nichts anderem mehr gut, als uns an den vergänglichen Augenblick zu erinnern, in dem sie
gelebt haben.