Je tiefer er in die Geschichte eindrang, umso mehr entdeckte er in ihr sowohl Veränderliches als auch
Gemeinsames; was dem ersten Anschein nach unzusammenhängend und verworren war, verschwand zusehends, und er
erkannte, dass das Ungeheuerliche und Bizarre ebenso Gesetzen folgte wie das Folgerichtige und Geradlinige. Die
Wissenschaft kennt keine Ungeheuer, sie verdammt keine Kreaturen, sie studiert die Wirbel der Boa und die
Ausbrüche der Vulkane mit derselben Hingabe wie den Kehlkopf der Nachtigall und die Blütenkrone der
Rose; Hässlichkeit existiert nur im menschlichen Geist, sie ist eine Art zu fühlen, die seine
Schwäche offenbart, nur er vermag sie zu sehen und hervorzubringen; denn hätte er diese Schwäche
oder Möglichkeit nicht, weshalb wäre er dann von der Schönheit so entzückt, wenn er ihr
begegnet? Dagegen ist die Natur dazu unfähig, in ihr ist alles in Ordnung und in Harmonie; die schroffen
Felsen sind schön, die Getreidefelder sind schön, schön ist auch das Unwetter, schön sind die
Wälder, Spinnen haben ihre Schönheit und die Krokodile die ihre, ebenso wie die Eulen, die Affen, die
Flusspferde und die Geier. Ob sie in ihren Höhlen schlafen, sich im Schlamm verbergen, über ihre Beute
gebeugt brüllen, in ihren Wäldern Sprünge vollführen oder in ihren Ozeanen schwimmen, sind
sie nicht alle, ebenso wie die Störche, die am Himmel fliegen, und die Wildpferde, die die Prairien
durchstreifen, aus demselben Urgrund entstanden, stimmen sie nicht alle denselben Gesang an, kehren sie nicht
in dasselbe Nichts zurück, als Strahlen desselben Kreises, die in demselben Mittelpunkt zusammentreffen?
Dieselbe Harmonie suchte er in der Welt der Moral zu entdecken, und furcht- los studierte er das Kriminelle, das
Gemeine, das Abstossende und Obszöne, all die Spielarten dessen, was uns erschreckt und anekelt, und er stellte
es dem Grossen, Würdigen, Tapferen und Wünschenswerten gegenüber, um zu sehen, worin sie sich
unterscheiden, und um, falls es Berührungspunkte gibt, diese zu betrachten.
Ebenso wie der Poet, zur gleichen Zeit, in der er Poet ist, Mensch sein muss, das heisst die Menschheit in
seinem Herzen aufspüren und selbst ein Teil von ihr sein muss, so verlangte er von einem Kunstwerk eine allgemeine
Bedeutung und zur gleichen Zeit einen plastischen und wesentlichen Wert: was ihn dazu brachte, gleichzeitig die
Menschlichkeit in der Kunst zu untersuchen, ja ich könnte fast sagen, die Kunst in der Menschlichkeit, denn
es gab etwas in der periodischen Wiederkehr immer derselben Krisen und derselben Ideen, in der Kombination dessen,
was man Ursache und Wirkung nennt, so dass man schwören könnte, dass alles im Voraus koordiniert wurde,
denn es handelt sich um einen voll- ständigen Organismus, der sich ununterbrochen weiterentwickelt und nach
erkennbaren Gesetzmässigkeiten funktioniert.
Von da an suchte er in der Kleidung, der Epoche, dem Land den Menschen; im Menschen seinerseits suchte er das Herz.
Von der Psychologie ging er zur Geschichte über, von der Geschichte ging er zurück zur Analyse, und in
diesem Gesamtbild, das ein Jahrhundert ausmacht und das für ihn ein Gesicht darstellte, das sich aus allen
Teilen zusammensetzt, aus denen es besteht, suchte er die einzelnen Hoffnungen wiederzuentdecken, aus denen die
Hoffnung einer Generation bestanden hatte, die privaten Bitterkeiten, die ihr ein so düsteres Erscheinungsbild
gegeben hatten, all die Freuden, die sie angesichts so schwer- wiegender Fragen hatten sorglos werden lassen, die
Energien, die ihre Kraft, die geheimen Heldentaten, die ihren Heroismus ausgemacht hatten.