Übringens verstand man seine Empfindungen nicht besser als seine Ideen, seine Vorlieben nicht besser als seine
Ansichten, denn jemanden zu finden, der dasselbe Gefühl für die Welt und für die Natur hat wie Sie,
ist vielleicht ebenso schwierig wie ein anderer, der mit Ihnen einer Meinung darüber ist, wie man ein
Gericht aufträgt oder ein Gespann zusammenstellt
Eines Abends beispielsweise, es war ein schöner Sommerabend am Meer, der Mond schien, man wurde von einer
warmen Brise gestreichelt, in einer Nacht, in der das Herz überquillt, redete er. Ich weiss nicht, was er
sagte, sein Seufzen war zweifellos sonderbar, und seine Augen mussten magisch leuchten: Tatsäch- lich war an
seiner Seite eine Frau. Vielleicht sah er sie nicht, oder wenn er sie sah, dann dachte er an sie noch weniger als
an die anderen. Nun gut, diese Frau, sie war in der Tat schön, glaubte an die Absicht dieser Seufzer und seines
Blicks und erwiderte sie vom nächsten Tag an; diese Liebe stimmte Jules traurig, sie hinterliess in ihm ein
ein Gefühl abgrundtiefen Mitleids: "Was soll's? sagte er sich, alles wird mir verwehrt, und sogar die Strahlen
der Liebe, die, noch kürzer als Blitze am Himmel, mein Herz treffen, lohnen kaum der Mühe, wahrgenommen
zu, werden, auf dass man von ihnen geblendet wird! Besser ist es zu gehen und ruhig weiterzuatmen! Gibt es einen
Ort für mich, an dem meine Seufzer und mein Lächeln niemandem, weder einem anderen noch mir selbst,
Schaden zufügen können?"
Die Wellen, die Wolken und die Wälder sprachen deutlich in ihrer Sprache zu ihm; doch manchmal schweigt die
Stimme dieser stummen Freunde, wer ist dann da, um die unsrige zu vernehmen? es ist eine schwere Last, das Gewicht
seines Herzens allein zu tragen!
In manchen Momenten war er noch versucht, zu leben und zu handeln, doch es stellte sich so schnell die Ironie ein,
die sein Handeln untergrub und verhinderte, es zu Ende zu bringen, die Analyse folgte ihm auf dem Fuss und machte
es sogleich zunichte. Hin und wieder hielt er noch die Phantasien seiner Vorstellungskraft für Stürme
seines Herzens und die Verwirrungen seiner Empfindsamkeit für wirkliche Leidenschaften; doch sie verflogen
so schnell, dass er sie als blosse Gedanken oder flüchtige Sensationen erkannte; so kam es, dass er mehrere
Handlungsabläufe nicht vollendete, die er entworfen hatte, um sich die Zeit zu vertreiben und die ihn
anödeten, sobald er die Auflösung der Verwicklungen vorhersah. Er liess alles so schnell im Stich,
dass er die Nichtig- keit auf den ersten Blick erkannte, so wie die ebenerdigen Quellen, deren Grund man nur findet,
wenn man mit den Füssen hineintaucht.
Er fand Bernardi wieder, der im Ambigu in den Rollen alter Prinzen auftrat. Dieser Mann musste schreckliche
Erinnerungen in ihm wecken, und er hätte ihm aus dem Weg gehen können, doch er traf sich mit ihm mit
Absicht gerade deshalb, und zu seinem Erstaunen mochten sie sich ebenso wie damals zu der Zeit des
Ritters von Calatrava. Jules tat sich mit ihm zusammen, sie erneuerten ihre Freundschaft und verbanden sich enger
als je zuvor; sie sprachen über Mme Artémise und insbesondere über Mlle Lucinde, die nach London
gegangen war und dort ein Modegeschäft betrieb; sie war eine lange Zeit die Geliebte Bernardis gewesen,
nachdem sie zuvor die Geliebte einer Reihe anderer und bevor sie danach auch die einer noch grösseren Anzahl
wurde. Jules plauderte gern über sie, um so aus dem Mund Bernardis tausend intime Einzelheiten zu erfahren, die
sie herabsetzten, tausend Tatsachen, die die Erinnerung, die er an sie bewahrt hatte, besudelten, er stellte sie
sich in den Armen dieses unbedeutenden Schauspielers vor, hatte sie vor Augen, wie sie von diesem Mund geküsst
und von diesen Händen entkleidet wurde, wie er diese schmutzige Person mit einer schmutzigen Liebe liebte;
und indem er ihn mit einer gespannten Aufmerksamkeit betrachtete, versuchte er in ihm etwas von ihr wiederzufinden,
einen Hauch der Vergangenheit und einen Rest des Geruchs.