Die erste Éducation Sentimentale


    In dem Masse, wie er dieses einzigartige Bedürfnis befriedigte, verspürte er es schliesslich nicht mehr; nachdem er lange genug durch den Schmutz gewatet war, sich nach rückwärts gewandt und die zärtliche und schmerzliche Liebe seiner Jugend bis in alle Einzelheiten so sehr aufgewühlt hatte, dass die Unerbitt- lichkeit seines Geistes dieses Spektakels überdrüssig war, fand er die Gesell- schaft Bernardis nicht mehr so anziehend, und wenn er sich auch weiterhin von Zeit zu Zeit mit ihm traf, so bezahlte er nicht mehr so oft seinen Kaffee.

    Henry hätte es nicht verstanden, wie man so in seine Vergangenheit zurückgehen und seine Erinnerungen wiederaufleben lassen konnte; ganz sicher hätte er nicht M.Renaud um die Auskünfte gebeten, die Jules von Bernardi verlangt hatte, er, der nach Ablauf des dreijährigen Aufenthalts in Aix zögerte, ob er Mme Émilie wiedersehen wollte oder nicht, und der, nachdem er zehn Minuten nachgedacht hatte, sich am Ende für ein Nein entschied.
    Ja er war in der Tat ein anderer Mann als Jules, er war gut ausgebildet und sehr erfahren, die Reiferen bewunderten die Geradheit seines Urteils und die Jüngeren seine hervorragenden Manieren; er war von einer ausgesuchten Eleganz, seine Einfachheit hatte nichts Gewöhnliches und nichts Gekünsteltes; man spürte, dass er in der Welt herumgekommen war, denn er passte sich ihren Gepflogenheiten an; man hätte den Eindruck haben können, dass er sie ausbeutete, denn er lehnte sich nicht gegen ihre Vorurteile auf und beugte sich unter ihren Gewalten.
    Er diskutierte mit den Abgeordneten über Politik, mit den Landbesitzern über die Landwirtschaft, mit den Bankiers über die Finanzen, mit den Rechtsanwälten über die Rechtswissenschaft, mit den Philanthropen über das Strafsystem und mit den Damen über Literatur. Er hatte etwas Schmeichelndes und Gewin- nendes, gemischt mit einer Art von frecher Offenheit, die jedoch nicht unver- schämt wirkte und im ersten Moment gut ankam; er hielt hin und wieder Vorträge über Gemeinplätze, führte aber selten etwas mit Genauigkeit über eine spezielle Sache aus, so wie er den Koketten gefiel, indem er sich gegen die Koketterie aussprach, den einfachen bürgerlichen Frauen, indem er über die vornehmen Damen herzog, den nicht ganz Tugendhaften, indem er ein Loblied auf die Tugend vorbrachte, und den Geizigen schmeichelte, indem er die sparsamen Leute lobte.

    Er hatte nach seiner ersten Geliebten nacheinander eine Unterwürfige, die jedesmal zur Beichte ging, wenn sie sich ihm hingegeben hatte, eine Tänzerin, die zu seinem Vergnügen nackt vor ihm tanzte, einen Blaustrumpf, die ihm Elegien vortrug, die ihr zu Ehren verfasst worden waren; die erste verliess er, weil sie ihm zu schwierig war, die zweite, weil sie es zu wenig war, und die dritte, die ziemlich hässlich war, konnte er nur loswerden, indem er ihr einen Nachfolger für sich besorgte. Mit der Hingebungsvollen hatte er etwas empfunden, mit der Tänzerin hatte er viel Spass gehabt, und die Gesellschaft der Schöngeistigen hatte seiner Eitelkeit geschmeichelt; die Fromme hatte er besessen, indem er die Gottesdienste besuchte, mit entblösstem Haupt und ganz in schwarz gekleidet aufrecht gegen einen Pfeiler der Kirche gelehnt; das Herz der Schauspielerin hatte er dadurch gewonnen, dass er als Nachtisch den Witzbold gab, und die dritte war ihm verfallen, nachdem er ihr zwei Seiten aus Jocelyn vorgelesen hatte.