Was soll's! er war auf einem guten Weg, er hatte den Ruf eines Dandys, der noch für einige Zeit
anhalten konnte, dazu den Ruf eines Mannes von Geist, woran er intensiv arbeitete, und den im Entstehen begriffenen
Ruf eines Denkers, eines Mannes ernsthafter Studien und verschiedener Quellen, den er trickreich ausbaute.
Wenn er mit Jules zusammen war, machte er sich über all die hochtrabenden Redner lustig, deren
Eloquenz er hervorhob, über die erfolglosen Talente, die Ausgebufften, vor denen er Respekt hatte, sowie
über all die wohlmeinenden Ideen, für die er von Berufs wegen eintreten musste; dabei merkte Jules
jedoch, dass er das wenig Respektable zu schätzen und mittelmässige Menschen zu mögen begann.
Er wohnte in der Rue de Rivoli, im vierten Stock, das ist wahr, doch dennoch gab es etwas her: Rue de Rivoli als Adresse auf seinen Visitenkarten; er ging jeden Abend auf einen Ball und besuchte
einmal in der Woche das Italienische Orchester, und er hatte schon Einladungen bekommen, die Ferien in einem
Schloss zu verbringen. Jules wohnte in einem möblierten Zimmer in der Rue Saint-Jacques, er lebte vom Erteilen
von Lateinunterricht, für das er wenig bezahlt bekam, auch verfasste er irgendwelche Artikel in kleinen
Zeitschriften, wofür er nichts bekam; in die beiden respektablen Häuser, die er regelmässig
besuchte, hatte Henry ihn eingeführt; seine Gesellschaft bestand gewöhnlich aus zwei Medizinstudenten
aus dem Viertel und aus ein paar Malern, denen er einen Kurs in Geschichte gab; ein Drama, das er einem
Boulevard-Theater angeboten, das vorzulesen er aber nie die Gelegenheit erhalten hatte, hatte ihn mit drei
oder vier Schauspielern zusammengebracht, die noch ärmer und noch unbekannter waren als er.
Man traf sich an den Samstagen bei ihm in seiner tristen Behausung – Henry kam nie dorthin –, es
wurde über Kunst und über das Reisen geredet, man tauschte sich über seine Vorhaben, seine Pläne,
seine Erwartungen aus; doch die Maler blieben weg, als der Kurs beendet war, und die Schauspieler kamen am Ende
auch nicht mehr, da sie fanden, dass er ihnen zu viele Belehrungen gab und sich zu wenig um ihre Fortschritte
kümmerte. Es blieben ihm nur die beiden angehenden Chirurgen, die ihm wirklich sehr ergeben waren und die ihn,
bereit, ihm seine unverständliche Poesie und die hochgestochene Prosa nachzusehen, für einen famosen Kerl
und einen guten Kameraden hielten.
Es ist also verständlich, dass Jules sich begierig an Henry hielt, der ihn früher so gut verstanden
hatte; Henry wiederum war es sehr recht, mit seinem alten Freund jemand Beständigen zu haben, der verschwiegen
und intelligent war und dem er seine Vorhaben und seine täglichen Erfolge anvertrauen konnte.
Sie waren über nichts, was auch immer es war, einer Meinung und betrach- teten nichts auf dieselbe Weise;
der Skeptizismus Henry's war naiv und zupackend, der von Jules war radikaler und überlegter. Jules hatte
für die Frauen eine zu grosse Verachtung in der Praxis und eine zu grosse Verehrung in der Theorie; Henry,
der sie nicht so hoch auf einen Sockel stellte, liebte sie dafür umso mehr, so hielt ersterer sich auch an
solche der untersten Schicht und erträumte sich hin und wieder bei einer armen Prostituierten die herrlichsten
Liebesabenteuer oder die heissesten Wollüste, während Henry sich nur mit aus- gewählten Geliebten
abgab, die ihn alle Genüsse der Weiblichkeit auskosten liessen, reich an süssen Verwöhnungen und
mit allen Rafinessen des zivilisierten Lebens.