Die erste Éducation Sentimentale


    Henry ist jetzt ein Mann von 27 Jahren, der nun den Wein ebenso wie die Liebe geniesst und davon weder berunken noch krank wird; er ist geschmeidig und stark, kämpferisch und geradeheraus, er passt sich den Gegebenheiten an, wenn er sie nicht seinem Willen unterwerfen kann; sein Streben nach Reichtum und Macht nehmen ihm nichts von seiner Grosszügigkeit und seiner Lockerheit; er arbeitet und geht unter die Leute, er bildet sich und er singt, er lacht und er denkt nach, er hört sich Geschwätz an, ohne zu gähnen, und Dummheiten, ohne die Schultern zu heben; er ist der Mensch mit all seinen Widersprüchen und der typische Franzose in all seiner Pracht. Er empfindet nach einer Orgie keinen Ekel und nach dem Vergnügen keine Bitterkeit; er fürchtet sich vor niemandem, respektiert aber jeden; insgeheim macht er sich über jedermann lustig. Er glaubt an sich mehr als an andere, dem Zufall jedoch mehr als sich selbst; die Frauen lieben ihn, weil er ihnen den Hof macht; die Männer mögen ihn, weil er ihnen gefällig ist; man fürchtet ihn, weil er zurückschlägt; man macht ihm Platz, weil er sich durchboxt; man geht vor ihm, weil er einen anzieht.
    In einem Salon lässt er seinen Blick umherschweifen, und augenblicklich entdeckt er die Frau, die seine Geliebte werden wird; er will es so und sie wird es; er begehrte nicht eine, die vielleicht nein gesagt hätte, und auch eine, die ihn zurückgewiesen hätte, war nicht darunter. Er begehrt etwas, und fast zum vorhergesehenen Zeitpunkt besitzt er es; was er vorhersieht, tritt ein, was er sich wünscht, geht in Erfüllung; er hat Freunde mit unterschiedlichen Charakteren und Berufen, mit denen er sich über Leidenschaften, die sie miteinander teilen, und über ähnliche Neigungen, die sie haben, austauscht; er besitzt ein Gefährt, um die Wohnung verlassen zu können, wenn es regnet, sowie ein Pferd, um bei schönem Wetter auszureiten; die Familienmütter heben seine Gesittung hervor, die jungen Mädchen träumen von seinem guten Aussehen, die Männer beneiden ihn wegen seines Geistreichtums, und die Regierung fördert sein Talent.
    Ihm gehört die Zukunft; Männer wie er gelangen in Machtpositionen.

    Jules ist 26 Jahre alt, in seiner Erscheinung spiegelt sich die Müdigkeit von Menschen, die grossen Kummer durchgemacht haben, oder das vernachlässigte Äussere jener, die verheerende Schiffbrüche erlebt haben; er langweilt oder irritiert, er schweigt oder redet zuviel; selbst die Lebemänner empören sich über seinen Zynismus, und die ausgehaltenen Frauen finden, er habe keine Seele.
    Er lebt enthaltsam und keusch und träumt dabei von der Liebe, von Wollust und von Orgien.
    Er wünscht sich den Tod nicht mehr als das Leben; daher kann ihm vor dem Tod nicht grauen, so wie er es auch ohne Murren erträgt, weiterzuleben.
    Seine grössten Freuden sind ein Sonnenuntergang, ein Lufthauch des Windes im Wald, ein Gesang der Lerche beim Morgentau; eine sprachliche Wendung, ein wohlklingender Vers, ein gebeugtes Profil, eine alte Statue und die Falte eines Gewandes versetzen ihn in langanhaltende Ekstasen.
    Er mischt sich unter die Menge, er verschlingt die Bedrücktheit, die von grossen Städten ausgeht; er begibt sich auf die Felder, an die Strände, auf die Berge und setzt sein Herz den Brisen, den Düften, den ziehenden Wolken und den raschelnden Blättern aus.