In der Corona-Krise  –  Flaubert lesen  


    Es kam die Zeit für den vulgären Champagner, dieser essenziell französische Wein, der unglücklicherweise schon so viele Couplets hervorgebracht hat, ebenso französisch und ebenso langweilig. Der Hausherr lockerte mit dem Daumen den Korken, der den Flaschenhals verschloss. Er schoss heraus – die Damen stiessen überraschte Schreie aus – prallte an die Decke und fiel auf eine Käseglocke herab, die daraufhin anfing zu vibrieren. Man reichte die Gläser in einem lebhaften Durcheinander von Hand zu Hand; es tropfte auf die Tischdecke und auf die Finger, die Damen lachten; so entstehen unvermeidliche Glücksgefühle.

    Nach dem Essen, im Salon, nahm Mme Émilie Henry beiseite und lobte ihn wegen der Art und Weise, wie er ihre Gedanken unterstützt hatte.
  – Oh! ich habe Sie reden hören, sagte sie; alle meine Gedanken, Sie sprachen sie aus. Wie Sie alle anderen übertrumpft haben! Ich bin ganz Ihrer Meinung, jawohl; Sie waren im Recht, tausendmal im Recht.
  – Ich hatte Unrecht, antwortete er langsam, wobei er in dem Satz lange Pausen einlegte; was bringt es, etwas von dem Gefühl, das Sie beseelt, gegenüber Menschen zum Ausdruck zu bringen, die von nichts beseelt sind, und ein wenig von der Poesie, die Ihnen das Herz weitet, Leuten vermitteln zu wollen, deren Herzen für sie verschlossen sind? das ist verlorene Liebesmühe und eine Dummheit, verrückt, eine Krankheit, die ich bis jetzt hatte, von der ich mich aber tagtäglich heile.
  – Sind Sie vielleich zufällig ein Dichter?
  – Wer hat Ihnen das gesagt?
  – Ich rate nur.
  – Sicher, ich lese gern Poesie, fuhr Henry mit unbekümmerter Miene fort. Und Sie? lassen Sie sich nicht auch gern sanft in ihrem Rhythmus wiegen und sich von einem Genie auf einer goldenen Wolke zu unbekannten Welten davontragen?
  Mme Renaud beobachtete ihn beim Reden.
  – Das sind grossartige Glücksmomente, nicht wahr, sagte sie mit einem Ausdruck begehrlicher Unwissenheit.

    Und während sie sich so unterhielten, redeten sie gemeinsam über Liebes- geschichten im Theater, über die erhabensten Elegien; sie beschworen in Gedanken die Süsse der Sternennächte und den Duft von Blumen im Sommer; sie nannten sich die Bücher, die sie zum Weinen gebracht, und die, welche sie haben träumen lassen, aber was weiss ich sonst noch? Sie plauderten über das Unglück des Lebens und über die Sonnenuntergänge. Ihr Gespräch dauerte nicht lange, aber es war angefüllt, der Blick begleitete jedes Wort, das Schlagen des Herzens kam jedem Satz zuvor. Mme Renaud bewunderte die Vorstellungskraft Henrys, die seine Seele davontrug.
    Mlle Aglaé wurde gebeten zu singen, sie setzte sich an das Piano, stimmte Tonleitern an, wieherte, stampfte, pumpte und bürstete die Klaviatur. Niemand verstand ein Wort von der italienischen Arie, die sie ihrem Kehlkopf entweichen liess; da sie lang war, applaudierten alle, als sie beendet war. Der Deutsche, den man nach seiner Meinung fragte, antwortete, dass er sich in der Musik nicht auskenne, was ihnen merkwürdig vorkam, da die Deutschen doch Musik- liebhaber sein sollten.