Neuntes Kapitel
Am nächsten Tag suchte er Morel auf.
Er war ein einzigartiger Mann, dieser Morel, einer von denjenigen, die von den braven Bürgern als Originale
bezeichnet werden, die die Geschäftsleute als Künstler betrachten und die Künstler für
vulgär halten; mit einiger geistigen Rafinesse und ziemlich wenig davon im Gefühlsleben, ohne Genusssucht
und Eitelkeit, geradlinig und verständig: die Hälfte eines Advokaten verbunden mit der eines Bankiers,
ohne die Nachgiebigkeit und Zurückhaltung des ersteren und die Gier des letzteren, dabei aber mit etwas von
beiden Naturen ausgestattet, der Forschheit und dem Elan, den Ordnungssinn und der fast poetischen Begei- sterung,
mit der er sich der Interessen der unteren Etage und der niederen Arbeiten annahm, die seine ausgezeichnete Intelligenz
forderten.
Er gehörte zu denjenigen Menschen, die mit allen Eigenschaften ausgestattet waren, mit denen man, wenn noch
eine gewisse Schläue hinzukommt, imstande sein sollte, sein Glück zu machen, deren geistige Gelassenheit
oder aber Umstände, die dem entgegenstehen, gleichzeitig verhindern, dass sie jemals Machtposten erlangen, auf
denen sie zwar nicht ganz grosse, so doch immerhin gute Dinge hätten bewirken können; Männer, die
zum Handeln geboren sind, jedoch zu einem alltäglichen, einfachen, mit Arbeit verbundenem Handeln, die sie
nicht ungeduldig werden lässt und die sie mit derselben Hingabe ausführen, mit der ein Handwerker sich
seiner Aufgabe widmet, mit der Umsicht eines Vorarbeiters, eines hervorragenden Sekretärs, eines schlechten
Ministers, der zwar Schriftsätze aufsetzen, jedoch keine Linien ziehen kann, – intelligente Maschinen
und nichts darüber hinaus.
Aus ärmlichen Verhältnissen stammend, hatte er sich ein Betätigungsfeld geschaffen; nur
für den Handel ausgebildet, hatte er sich alles angeeignet. Die Wechselagenten, die Anwälte, Notare, alle
Arten von Schwindlern und Spekulanten, mit denen er zu tun hatte, konnten seiner einfachen Ehrbarkeit ebensowenig
etwas anhaben wie seine wohlgesonnene Natur beschädigen, die ihn mit mehr Vorstellungskraft und einem
leidenschaftlicheren Herzen vielleicht mutiger gemacht und zu grossen Taten hätte befähigen können.
Er konnte viele Gaunereien beobachten, machte jedoch bei keiner mit, bewahrte aber einen tiefen Hass auf die
Schuldigen, was Menschen mit Geist nicht verstehen. Obwohl er täglich mit Millionären zu tun hatte,
wünschte er für sich nur zwanzigtausend Livre Rente, aber er behandelte sie alle wie Schwachköpfe
und als Parvenüs und sagte es ihnen hin und wieder ins Gesicht, was ihm einen Anstrich von Unabhängigkeit
verlieh und ihn zu einem Herrn machte, obwohl er auf dem Dorf geboren worden war und ihm immer noch der Geruch
eines Verwalters anhaftete.