Für mich ist es immer dasselbe: ich gehe um neun in mein Büro und verlasse es um vier, und dann
mache ich bis zum Abendbrot einen Spaziergang, jeder neue Tag ähnelt dem Tag davor, es ist eine bedrückende
Eintönigkeit. Nur am Abend schreibe ich etwas oder lese in einem der so geliebten Bücher, in denen wir
gemeinsam gelesen haben, aus denen wir uns begeistert vorgelesen haben, die wir in der Seele verehrten; das
lässt mich umso mehr an dich denken. Oh! wie ich mich langweile! ich langweile mich zu Tode. Was ist das
für ein Leben! ich würde darüber mitleidig lachen, wenn ich nicht so traurig wäre! O meine
Träume!... Was meinst du? ich vermisse meine Träume, und ich bin noch nicht zwanzig Jahre alt; was wird
sein, wenn ich dreissig bin, was erst, wenn die Haare weiss geworden sind?
Ich empfinde eine grosse Wehmut, wenn ich an die Zeit zurückdenke, in der wir zusammen gelebt haben, und
mich an den Reiz der verrinnenden Tage erinnere; geht es dir ebenso? Dort in deinem Zimmer, rufst du dir ebenfalls
all die Freuden unserer Kindheit, all unsere verflogenen Erwartungen, all unsere verlo- rengegangenen Worte in dein
Gedächtnis zurück? wie waren sie doch zart und schön, unsere Sonntagnachmittage mit den nicht enden
wollenden Gesprächen, wenn unsere Geister wie zwei Vögel, die über Weizenfeldern und hohen Eichen
ihr Konzert anstimmen, die ganze Welt durchquerten und sich bis zu den Grenzen der Unendlichkeit erhoben! Nein,
mir scheint, dass das Universum für andere nie so weit und voller Töne war wie für uns beide.
Wir sprachen über alles, wir begeisterten uns für alles. Wie wir über die Liebe sprachen! Wie
wir uns den Ruhm herbeiwünschten! Mit welch hehren Dingen wir unseren Geist wiegten, o Gott! Erinnerst du dich
an unsere Bewunderung für den Ozean und unsere Vorliebe für die Gewitternächte? Erinnerst du dich an
unser Schwärmen für Indien, für die Fortbewegung der Kamele in der Wüste und das Brüllen
der Löwen? erinnerst du dich an die Zeit, die wir damit verbracht haben, uns das Gesicht Cleopatras auszumalen
und uns das Geräusch eines Wagens in der Antike vorzustellen, der am Abend über eine römische Strasse
rollt? Und dann träumten wir von zukünftigen Geliebten; du, du wolltest eine bleiche Italienerin in
einem schwarzen Samtkleid, mit einer goldenen Kordel in ihrem tiefschwarzen Haar, mit herrlichen Lippen, einer
königlichen Haltung, einer schmalen, schlanken Taille, eine eifersüchtige, leidenschaftliche Frau; ich
dage- gen zog die christlichen Profile gothischer Statuen vor, mit züchtig gesenktem Blick, feinen Goldhaaren
wie die der Jungfrau; ich stellte sie mir als charmant, zart, als eine Lichtgestalt vor, als eine schottische Fee
mit schneeweissen Füssen, die am Rand eines Wasserfalls hinter Lärchen ihren Gesang anstimmt; nichts
weiter als eine Seele, jedoch eine sichtbare Seele, die man auf die Lippen küssen kann, ein Geist, der eine
Gestalt hat, eine zur Frau gewordene Melodie.
Ich habe nicht die Kraft, mich über meinen letzten Satz lustig zu machen. Warum sollte der Mann von
zwanzig Jahren sich dem von fünfzehn anschliessen, wenn dieser später seinerseits von dem Mann von
vierzig geleugnet und lächerlich gemacht wird? Warum, und das gilt für jedes Lebensalter, seine
Vergangenheit verwünschen? Warum soll man nichts mehr davon wissen und sie schmähen? Wozu sich
unserer ehemaligen Vorlieben schämen? waren sie nicht herrlich, als wir jung waren? Ich achte noch die
zerbrochenen Spielzeuge, die ich als Kind hatte, ebenso wie die gefährlicheren Träume, die mir
seitdem in der Seele loderten. Glücklich sind die Menschen, die sich jeden Tag ein grosses Fest geben
können und die am Morgen noch so gutgelaunt sind, um nichts von ihrer Freigebigkeit zu bedauern!