Morel schnappte sich den zweiten Stiefel und begann sich anzuziehen, wobei er weiter redete. Redete worüber?
Ist das eine Frage? Werfen Sie eine Katze zum Fenster hinaus, sie wird auf allen vier Pfoten landen; sperren Sie
zwei Männer in einem Zimmer ein, und sie werden über Frauen reden, um nicht mehr zu
sagen; ein Thema, bei dem man am meisten erfinden und mit Freuden die libidinösesten Theorien ausbreiten
kann; nur Heuchler und ganz Wollüstige schweigen dazu. Ich habe schon jungfräuliche Männer
erlebt, die sich mit ihrem Zynismus hervortaten, kaum erwachsene Kinder, die Dinge sagten, die einen alten
Richter hätten erröten lassen. Morel war einer von diesen Männern. Auf diesem Gebiet war er
einfallsreich und erfinderisch; alles, was es in Bezug auf Techniken, an Literatur, mit der unsere Grossväter
ihren Spass hatten, gab, hatte er gelesen; alles, was an herrlich Obszönem und hinreichend Infamem in Paris
in Umlauf kam, er kannte es vor allen anderen; alles, was an Schmutzig-Schönem getrieben werden konnte,
er hatte es getan; alles, was Tag für Tag angeboten wurde, er hatte es gekauft.
Die Prostituierte war seine Mätresse, das schlüpfrige Chanson seine Romanze, doch hätte dieser
Mann nicht gewusst, wie man der Frau eines Ladenbesitzers den Hof macht, noch hätte er mit der Zuneigung
eines zwölf Jahre jungen Mädchens etwas anfangen können; er hatte nie geliebt und keine Frau
hatte ihn je geliebt; er machte sich darüber lustig, hatte kein Bedürfnis danach; er war es so
zufrieden, nachdem er bei anderen die grässlichen Auswirkungen dieser Geisteskrankheit, genannt Liebe,
beobachtet hatte.
Tatsächlich hatte noch nie die Hand Henrys in der einer Frau gelegen und war bei dem eigentümlichen
Druck der weichen und zarten Finger erzittert, die euch anders drücken als die der Männer; auch hatten
noch nie diese Blicke in seinen feuchten Augen geglänzt. Es gab in seinem Herzen keine geheiligte Reliquie,
keine Erinnerung an ein angebetetes Wesen, keine verschlossene Wunde, die euch immer noch schmerzt und die man
auch noch in der Erschlaffung ruhiger Tage leicht verspürt. Zwar hatte er an eine Geliebte gerichtete Gedichte
verfasst, doch hatte er keine Geliebte, die zwei oder drei Frauen, die zu lieben er sich bemühte, waren bald
wieder aus seinen Gedanken verschwunden, kaum dass sie in sein Leben getreten waren und ihn bloss mit den
Flügelspitzen gestreift hatten. Auch ihm war die Jungfräulichkeit im Bordell abhanden gekommen, dem
verfluchten Ort, an dem die Unschuld eines jungen Mannes stirbt, so wie die eines jungen Mädchens im Brautbett
verloren geht, ein Schicksal, zu dem beide gleichermassen verdammt sind: während es den ersteren trunken macht,
lässt die zweite es weinend geschehen. Es scheint, dass eine Liebe, die überleben soll, für ihre
heftigen Kämpfe ganz unverbrauchter Herzen und kampferprobter Körper bedarf.
Doch Henry hoffte, wartete, träumte, hatte Wünsche, er glaubte noch an das Begehren, das sich beim
Anblick der Frauen einstellt, und an die Realität eines Lebensglücks, ein Alter der Illusionen, in dem
in der Seele die Knospe der Liebe spriesst. Ah! geniesse sie, mein Kind, geniesse die erste duftende Brise, die
deinen Geist streift, höre auf das Schlagen deines zerspringenden Herzens, denn bald wird es nur noch vor
Hass schlagen, und bald wird es stehenbleiben wie eine Uhr, wenn die Unruhe bricht, denn bald wird die Zeit
kommen, in der die Blätter fallen und die Haare weiss werden, in der alle Sterne von diesem weiten Himmel
verschwinden, wenn ihr Feuer nach und nach verlischt.