Sie fuhr fort:
– Aber du, du hast nichts bemerkt; ich habe sehr wohl bemerkt, dass du mich liebst, du hast aber
nicht geahnt, dass ich dich liebte; mein Gatte...
– Ah! Ihr Gatte! Können Sie von ihm sprechen, diesem vulgären Mann, der...
– Schweig still, sagte sie mit ernster Miene, du kennst ihn schlecht, er ist ein guter Mensch,
grosszügig, und er liebt mich.
– Sie lieben? er!
– Sprechen Sie nicht von ihm, bin ich nicht seine Frau? muss ich ihm nicht treu sein! Ja unsere
Herzen stossen einander ab, er hat mich nie verstanden, er kennt die Liebe nur von ihrer brutalen und
widerwärtigen Seite, ich habe Abscheu davor. Wenn du wüsstest...
Sie verbarg ihren Kopf in den Händen, und dann, mit einem Lächeln, wobei sie ihre Arme Henry
um den Hals legte:
– Er ist nicht wie du, denk doch! er ist nicht jung, nicht schön, auch nicht grossartig; er
besitzt nicht deine schöne Seele und hat nicht deine feinen Gesichtszüge.
Es war in der Tat ein hübsches Spektakel, dieser stürmische junge Mann, mit seinem verstörten
sanften Gesicht und dem ganz aus den Fugen geratenen Körper.
– Nein, du bist schön, sagte er, ich könnte beim Anblick deiner Augenbrauen sterben, und
jedes Opfer wäre mir eine Freude, wenn deine Augen auf die meinen gerichtet wären.
Und so verblieb er, unbefriedigt und hungrig vor diesem Gericht, das nur für ihn duftete;
sie sprach zu ihm über ihre ehelichen Pflichten und über die Keuschheit ihrer Liebe, wobei sie sich nur
schwach gegen seine ängstlichen Umarmungen zur Wehr setzte; er war kleinmütig wie eine Jungfrau und
entflammt wie ein Mann im Rausch; die Liebe ist manchmal so stark, dass sie der Unschuld ähnelt und
die gleichen Verwicklungen erzeugt.
– Sei vorsichtig, Kind, halte dich unter Kontrolle, wir werden uns vor aller Welt verbergen
müssen – die Welt ist eifersüchtig und bösartig – und misstraue allen. Wenn unser
Glück bekannt würde, dann wäre es für uns zu Ende... Sieh dich vor und lass dir nichts
anmerken, so werden wir glücklich sein, mit den Herzen vereint inmitten all dieser egoistischen,
beschränkten Menschen; das Leben wird von uns gemeinsam ertragen angenehmer... Adieu, denk' an mich, ich
muss dich verlassen, ich bin schon ziemlich lange hier.
Und sie ging.
Henry begriff sehr wohl, dass er einen Fehler begangen hatte, er war sich deswegen böse und haderte mit
sich, dann lobte er sich und machte daraus einen Vorteil, indem er seine Ängstlichkeit in Tugend und seine
Unbeholfenheit in Feingefühl umwandelte, so wie es häufig vorkommt.
Was soll's? die Nacht, die er danach verbrachte, war, dank dem Verzicht auf fleischliches Verlangen, nicht weniger
schön und beneidenswert. Bewunderns- werte Dummheit der Liebe! er ging erst gegen zwei Uhr morgens zu Bett,
nachdem er fünf feurige Seiten an die Dame seines Herzens geschrieben hatte.