Zwölftes Kapitel JULES AN HENRY
"Grosse Neuigkeit! grosse Neuigkeit! Eine Schauspielertruppe ist hier, sie wollen mein Drama spielen,
ja, Henry, mein Ritter von Calatrava ist fertig, abgeschlossen, ich habe in der letzten Nacht den
fünften Akt beendet; ich bin gerade aufgewacht, bin noch ganz benommen und verschlafen, ich baue vor allem auf
die effektvolle Szene mit den Gräbern, du wirst sehen. Hier noch als Ergänzung, wie sich alles zugetragen
hat:
Eines Morgens, als ich am Ufer des Flusses spazierenging, sah ich von weitem einen in einen Brandenburger
Umhang gehüllten ulkigen Kerl auf einem Stapel gefällter Bäume sitzen, der ruhig seine Pfeife
rauchte, während er die Landschaft betrachtete. Als ich an ihm vorbei ging, erhob er sich und sprach mich
freundlich an, um mich um Feuer zu bitten. Er rauchte eine kleine Meer- schaumpfeife mit reichlich geschmacklosen
goldenen Kordeln und trug auf dem Kopf eine Kappe aus Wachstuch; er hatte lange Haare, sprach schnell mit einem
harten und etwas schneidenden südlichen Akzent, aber seine Person hatte im Ganzen etwas Freies und
Geistvolles, das einem vom ersten Anblick an gefiel; ich hätte ihn ohne weiteres für einen reisenden
Dentisten oder einen Hand- lungsreisenden der besseren Gesellschaft gehalten, doch er liess es mich, ohne dass
ich danach gefragt hätte, gleich wissen: er war M.Bernardi, der derzeitige Direktor unseres Theaters.
Du vermutest richtig, von da an sprachen wir über Literatur und über Theater; er kannte alle in Paris
und sprach als Kenner über sie, wobei er seine Ausführungen mit gewagten Ansichten und ungewohnten
Anmerkungen würzte, an den etablierten Bewertungen Kritik übte und mir bisher Unbekanntes
enthüllte. Die Leute, die er bewunderte, waren vielleicht nicht die, welche ich am meisten schätzte,
und umgekehrt; so verabscheut er Dramen in Versen, weil er der Meinung ist, dass sich Prosa besser für die
Handlung eignet.
Der Zufall wollte es, dass ich ihn am nächsten Morgen an derselben Stelle wieder traf; die Unterhaltung
wurde auf das Angenehmste wieder aufgenommen, und zwar über dasselbe Thema wie am Vortag. Bernardi ist ein
junger Mann, nicht älter als achtunddreissig Jahre; ein rechter Teufel, unwahrscheinlich lustig und
geniesserisch, er spricht über Frauen so wie man über Pferde spricht, wir haben viel gemeinsam
gelacht.
Wir wurden sehr schnell die besten Freunde von der Welt; eine Woche lang gingen wir jeden Morgen gemeinsam
spazieren, und am Abend trafen wir uns noch einmal im Café. Er war, wie er sagte, entzückt, jemanden
gefunden zu haben, mit dem er reden konnte, denn er mag die Provinz nicht; darin bin ich mit ihm einer Meinung.
Er verschaffte mir freien Eintritt, aber ich wagte nicht recht, davon Gebrauch zu machen, bis ich ihn eines Tages,
am letzten Sonntag, begleitete, als er mich zu einer Probe einlud, und da beginnt die Geschichte, die ich dir
hiermit schicke.