Als eine Kulisse verschoben wurde und sie im hellen Licht dasass, sah ich sie auf einmal vollständig. Ihr
Kopf war unbedeckt, das lange auf englische Art gewickelte aschblonde Haar fiel mit einer äussersten Anmut
auf ihre entblössten Schultern, die zitterten, als würde sie frieren oder als wäre sie schläfrig;
sie zitterte tatsächlich vor Kälte und hüllte sich in ihren grossen blauen Schal, den sie um ihren
Körper geschlungen hatte. Es war ein alter Kaschmirschal mit roten Fransen, der vollständig ihre Taille,
die Arme und den Hinterkopf bedeckte; sie hatte ihn dabei über ihren Kamm gelegt und verhielt sich bewegungslos,
ohne irgendetwas zu tun, mit nichts anderem beschäftigt, als ihre Fussspitzen zu betrachten, mit denen sie in
kleinen abgehackten Bewegungen auf den Boden trommelte; ihr weisser Seidenschuh schaute raschelnd unter ihrem Kleid
hervor, ein blaues mit weissen Blumen übersätes Kleid, mit einem grossen Volant, der ein wenig unter dem
Knie hervorlugte und dessen Kontur andeutete. Sie trug auch an den Seiten bestickte Tagesstrümpfe, und ihre
Schuhe waren so winzig und so fein, dass man fast hätte sagen können, dass ihre Füsse nackt waren,
es waren Schuhe, die eher Handschuhen glichen und die Füsse beweglich und weich wie eine Hand erscheinen
liessen.
Der hübsche Kopf, Henry! und was für ein bezauberndes Wesen das war! Ich erzähle dir all das
ausführlich, aber man musste sie sehen mit ihren grossen Augen mit gesenktem Blick und mit ihrer grüblerischen
Stirn! Sie müsste man unter der Seide schlafen sehen, in einem Bett aus Ebenholz, müsste man mit Blumen
bedecken, so dass die Rosen weniger rosig wären als ihre Haut, sie müsste man mit Diamanten bedecken, um
sie sofort wegzuwerfen, weil man ihnen das süsse Blitzen ihrer Augäpfel vorzieht; mit ihr müsste man
im Sommer eine Spazierfahrt in einem lackglänzenden Landauer mit vier Pferden machen, mit sanftem Schaukeln
durch die weiche Federung, ausgestreckt auf dem seidigsten Stoff, bekleidet mit Musselin, so frisch und duftend wie
ein Blumenstrauss! Ah! der Luxus würde ihr gut stehen! sie regt zu einem seltsamen Bedürfnis an, reich zu
sein, reich für sie, reich, damit ihr Leben ohne Hemmnisse und ohne heftige Erschütterungen verläuft,
und sanft wie jene Träume, in denen man Musik hört. Ja, sie ist dazu geschaffen, ihr Leben in einer
Hängematte liegend zu verbringen, so dass die sanftesten Brisen sie in Bewegung versetzen, gleichzeitig mit
den Blumenbüschen und den gelben Wogen des Weizens, weit weg von den Behausungen der Menschen, über den
Wolken, höher als der höchste Schnee, eingehüllt in ihre Liebe, um von da wie vom Himmel herab
über der Welt zu schweben; mit ihr möchte man zu den Sternen, zum Licht, zur ewigen Ekstase aufsteigen,
in einem Flug, schneller und ruhiger als dem der Adler und der wilden Tauben, und um, mit ihrer Seele verschmolzen
und vergehend wie flüchtiger Weihrauch, der sich immer im Aufsteigen langsam verflüchtigt, im reinen und
grenzenlosen Raum zu sterben.
" Und zudem was für eine Künstlerin! Am Abend habe ich sie in Antony die Rolle der
Adèle Hervey spielen sehen. Sie hat eine gewöhnliche und etwas schleppende Art zu sprechen, sie singt
das Ende der Wörter und betont sie, als psalmodiere sie Verse, manchmal jedoch überschlägt sich ihre
Stimme, die wie eine Flöte singt, und geht in durchdringende Schreie über oder brüllt wut- entbrannt
zusammen mit Tränen der Verzweiflung heraus; dann wiederum kommt von ihren Lippen ganz unvermittelt ein
Seufzer, ein zärtliches Wort voller Sehnsucht, so wie in einem Orchester diese leisen schläfrigen und
wollüstigen Töne, die nach dem mächtigen Orkan der Violoncelli und dem Dröhnen der Kesselpauken
die Luft durchdringen.