Die erste Éducation Sentimentale


    Shahutsnischbach war schon längst gegangen und hatte sich schlafen gelegt, Morel hatte sich heimlich davongemacht, um sein grossartiges Kostüm eines Kannibalengenerals anzulegen und den Rest der Nacht in der Oper zu verbringen. Alle gingen, die Fete ging zu Ende. Mlle Aglaé starb am Arm von Alvarès vor Müdigkeit, Mendès schwitzte grosse Tropfen beim Tanz mit Mme Dubois, Mlle Hortense hatte nichts mehr, das sie spielen konnte, M.Lenoir hatte fünfzig Francs verloren und wäre aus Angst, noch mehr zu verlieren, gern schlafen gegangen, aber M.Renaud war unermüdlich und seine Frau immer noch anziehend. Hin und wieder wechselten die Tänzer hinüber in einen angrenzen- den Raum, und Henry blieb allein zurück; er hörte das Geräusch ihrer Schritte, ihr Lachen, ihre Ausrufe; da verspürte er die sonderbare Lust zu weinen. Er fror in seinen Eingeweiden und sein tiefstes Inneres schauderte vor Traurigkeit. Es gibt keine schlimmeren Augenblicke im Leben als solche Augenblicke von bitterem Stolz, in denen man sich allein in der Welt fühlt, isoliert in der Menge, düster inmitten von Ausgelassenheit, abgeschnitten von dem Glück, von dem man träumt, und voller Verachtung für das Leben all der anderen!

    Als alle gegangen waren, ging er hoch in sein Zimmer, aber er legte sich nicht schlafen; er öffnete das Fenster und atmete tief. Es war eine milde Nacht, er genoss die Stille; die frische Luft tat seinen müden Augen gut und kühlte seine heisse Stirn; lange blieb er so, mit den Ellbogen auf das Fensterbrett gestützt in die Nacht blickend; es wurde allmählich Tag, die Sterne am Himmel verblassten, er dachte unwillkürlich an die Frauen, die ihn verlassen hatten, an ihr Lächeln, an all ihre Blicke, an den Duft ihrer Kleidung, an die Klänge von Musik, die aufgehört hatte, an das Flackern der Beleuchtung, die jetzt erloschen war; obwohl der Ball ihm auf die Nerven gegangen war, trauerte er ihm schon nach und träumte von ihm wie von etwas lange Zurückliegendem. Der Wind rauschte in den Ästen, ein Hahn krähte in der Ferne, hin und wieder fuhr ein Fuhrwerk auf der Strasse vorbei und liess das Pflaster erbeben, Hunde bellten; die morgendlichen Wolken, leicht und geschwind, zogen eine nach der anderen vorbei und lösten sich in der Luft auf, ausserhalb von Paris, hinter dem nebligen Horizont; er fror, der Nebel senkte sich herab.
    Fast vor Müdigkeit eingeschlafen und betäubt von tausend verschiedenen Gedanken, Ideen und Erinnerungen, die in seinem Kopf kreisten, schneller und unbändiger als die Blätter der Bäume, die im Herbst von einem Windstoss davon- getragen werden, liess er die unterschiedlichen Tage der Vergangenheit, die wie Schatten auftauchten, die einen fröhlich, die anderen traurig, an sich vorüber- ziehen; zuerst die als Kind, an denen er spielte, voller Leben lachte, ohne einen Traum und wunschlos glücklich; dann den Tag, an dem er ins Gymnasium kam und den anderen, an dem er es hinter sich liess, dann den, an welchem er bei M.Renaud ankam, und jenen, an dem sie in sein Zimmer kam und er sie am Hals geküsst hatte, sowie die Tage, die er mit Jules verbracht hatte, mit Spazier- gängen, bei denen sie untergehakt gingen, sich Kirschen kauften und sie gemeinsam verspeisten, wobei sie am Rand eines Grabens sassen oder lang auf dem Bauch ausgestreckt auf dem Wiesengras lagen; und auch die langen, lustlosen Stunden der Jugend, die er, mit den Armen auf der Schulbank, damit verbrachte, von der Zukunft zu träumen und sich Liebesbeziehungen vorzu- stellen, die er haben würde, und die ersten Freuden der Fleischeslust, und die Winterabende bei sich, an denen er beim ruhigen Licht seines Leuchters still und ernsthaft arbeitete; auch jenen Tag bei den Tuilerien, als der Schnee unter seinen