Die erste Éducation Sentimentale


   – Hätten Sie das von ihr gedacht, da Sie sie doch gekannt haben?
  – Von ihr? von wem sprechen Sie? von Louisa? bei Gott, nein! der arme Boucherot hat das nicht verdient. Ich gebe zu, er ist dumm, aber nach all dem, was er für sie getan hat... fünfhunderttausend Francs für so eine Schnepfe, und dann zu sehen...! nein, nein, nein!
  – Ich habe zu sehr gelitten! ich habe zu sehr gelitten! murmelte Henry leise.
  – Auf dem Ball den Arm dieses armen Kerls zurückzuweisen, und sich statt- dessen an diesen Kretin, den Herzog von Noyon heranzuschmeissen! und das nur, weil der andere am Ende ist und es ihm morgen an den Kragen geht! und dann noch feixend an ihm vorbeizugehen! was für ein Pack! So sind sie alle, müssen Sie wissen, liebe Mädchen, wenn Sie reich sind, und gemein, wenn Sie keinen Sou mehr haben. So wie ich...
  – Ich habe doch geglaubt, dass sie mich liebte, denn sie hat es mir gesagt, und zwar so oft!
  – Die dicke Henriette ist wenigstens nicht so, sie ist eine Ausnahme. Sie wissen wieso? die dicke Henriette vom Vaudeville. D'Ambourg hatte sie wegen einer Engländerin verlassen, die im vorigen Jahr mit der Botschaft hierher gekommen war; nun gut, als die Botschaft wieder abgereist ist, kam sie sofort, als wenn nichts gewesen ist, obwohl der Alte Maurissot, dieser Fettsack von Bankier aus der Rue Laffitte, ihr stolze Beträge anbot, damit sie bei ihm bliebe, und das, obwohl d'Ambourg sie regelmässig verprügelt, wenn er zu viel getrunken hat, was bei ihm jeden Tag der Fall ist:
   Henry sagte nichts und sah Morel erstaunt beim Reden an; der fuhr fort:
  – Die gute Schlampe macht sowas! Allerdings habe ich sie dabei gesehen, im Quartier Latin, wie sie mit abgerissenen Schuhen vom einen zum anderen zog, mit ihrer kleinen Haube und in blauen Strümpfen; ich sehe sie noch...
   Für einen Menschen in seinem Leiden sprechen alle, die nicht mit ihm über sein Leid reden, in einer fremden Sprache. Die Augen auf einen Stein gerichtet hörte Henry Wörter, die aufeinander folgte, ohne ihren Sinn zu erfassen, während er in seinem Schmerz badete.
  – Daher freut es uns immer, uns wiederzusehen. Was haben wir am Ende für einen ausgelassenen Cancan hingelegt! Wir bildeten einen Kreis, sie trug das Kostüm einer Andalusierin im Delirium, ich hatte meinen Kannibalengeneral... Nun sagen Sie, was halten Sie von diesem Federbusch und von diesem Schritt? eins, zwei, da – vorwärts – hopp, und – eins, zwei, da – und da – Oh! Au! schrie er, mein Knie, ich habe mich am Tisch gestossen... Zudem ist nicht ein Schluck da, ich war gerade aufgestanden, als Sie hereinkamen, und es ist noch überall geschlossen; hier ist es blank wie in einem Backofen oder wie in einer Phrase von Sainte-Beuve.
    Er zog die Vorhänge auf, und als das Tageslicht auf einen Schlag in das Zimmer drang, offenbarte sich Henry die darin herrschende Unordnung, eine moralische Lektion, die keinerlei Wirkung auf ihn hatte. Alles war unordentlich, durcheinander, in einem Wirrwarr, es zeugte von einem Mann, der abends zu spät von einem Essen zurückgekommen ist, bei dem er zu lange geblieben ist. So wischte ein Hemd den Fliesenboden, ein auf den Tisch geworfener Mantel hatte das Tintenfass umgeworfen, ein Stiefel steckte in einem Hut, die Hose lag unter Stühlen, Kämme steckten in einem Buch, die Krawatte im Waschbecken, die Handschuhe im Nachttopf.