Die erste Éducation Sentimentale


    Ihre langen kastanienbraunen Haare, auf denen das Licht goldene Fäden zeichnete, die so füllig und seidenweich waren, in einer solchen Überfülle, dass der Kopf von ihnen schwer zu sein schien, hinter ihrem Nacken schraubenförmig gedreht und fast bis auf ihre Schultern fallend; vorn fielen sie in langen gewickelten Strähnen, die sich bewegten und, wenn ein Windstoss sie erfasste oder wenn sie ging oder sich erhob, schaukelten und ihr das Gesicht streichelten. Sie nahm auf natürliche Weise und voller Unbefangenheit und mit Geschmack überholte Haltungen ein und ging leichtfüssig, wie jene Vögel, die fliegen könnten, wenn sie wollten. Eine je nach den Umständen grausame Ironie verzog ihre schmalen Lippen und spielte um die Konturen ihres Mundes; ihre Augen, zu den Schläfen hin aufwärts gerichtet, feucht und unter den Wimpern immer wie in den lasziven Ekstasen glänzend, hatten, um die Anziehung noch zu steigern, eine heitere Fröhlichkeit, etwas von einer kindlichen Naivität; sie liess entfernt an die Evastöchter von der Art denken, die gekommen sind, um den Männern Unglück zu bringen, an diese magischen Frauen, die mit den Schlangen auf- treten, sie sich wie einen Ring um den Körper legen und beschwörend zu ihnen sprechen, an jene Mätressen von Königen, die öffentliche Katastrophen verur- sachen, perfide und gleichzeitig geliebte Geschöpfe, die euch bei einem Kuss verraten, euch für Schmuck verkaufen und euch inmitten des Festes, lächelnd auf euren Knieen sitzend, Gift verabreichen.

    War das der Grund, dass Jules fast nicht wagte, mit ihr zu reden? dass er davor Angst hatte, mit ihr allein zu sein? dass er den Blick senkte, sobald er sie von weitem sah? war es Respekt, Besonnenheit oder Schrecken? und vor allem, liebte er sie?
    Er zweifelte später, das ist wahr, selber daran, als er lange Zeit ein ganz und gar ideales und nur in der Vorstellung existierendes Leben mit himmlischen Liebesverhältnissen und unwirklichen Gefühlen geführt hatte und schliesslich dahin gelangte, die Schönheit zu verneinen, wegen der er zu sehr geliebt hatte, und über die Leidenschaften zu lachen, es sei denn er hatte sie studiert; aber im Augenblick war er noch in einer Ernsthaftigkeit der Illusion und des Lebens befangen, ohne dazu bereit zu sein, seine Liebe am Massstab der Unendlichkeit zu messen. Eine fatale Besessenheit, die den grossen Dingen ihren Zauber nimmt und die einen frühzeitig altern lässt! Weshalb hätte er sie nicht lieben sollen? jeder Mensch beginnt das Leben des Herzens mit einer ernsthaften Liebe; es ging ihm also nicht anders als allen Menschen.

    Er war übrigens zu der Zeit ein gutgläubiges, argloses Kind. Liebend, um zu lieben, darauf aus, schöne Träume zu haben, leicht zu begeistern, das bewun- dernd, was man bewundert, und noch mehr, war er einer dieser arglosen und sanftmütigen Menschen, die es nicht wagen würden, ein schlafendes Kind aufzuwecken oder Blumen unter ihren Füssen zu zertrampeln, die gern Tiere streicheln und denen es Freude macht, die Schwalben fliegen zu sehen, und die Nächte damit verbringen, den Mond zu betrachten. Von reizbarer, femininer Natur verzehrte sich sein Herz für alles, klammerte sich an alles, er war fröhlich ohne Grund, niedergeschlagen ohne Grund, hing träumerisch irgendwelchen Dingen nach; er hatte einen grossen Hass auf alle Arten von Elend und eine Besessen- heit für bestimmte Wörter; er wünschte sich brennend mittelmässige Dinge, trauerte Bedeutungslosigkeiten nach und gefiel sich wiederum darin, sich für Albernheiten zu begeistern. Die Kraft, sich zu erweitern, die ihm der Himmel geschenkt hatte, steigerte die Intensität seiner Freuden ebenso wie die seiner Leiden; er verausgabte sich beim Schreiben, wurde beim Sprechen beredt, besänftigte sich selbst und liebte sich, weil er sich gut fühlte.