Am Abend nach dem Essen bekam er Besuch, weil man wissen wollte, ob er verändert war und um sich mit ihm
über die Vergnügungen der Hauptstadt zu unterhalten; die Damen sprachen mit ihm über die Oper und
über die reiche Ausstattung der Geschäfte, und die alten Junggesellen über das Café des
Mille Colonnes und die Reize der Mlle Mars; dann nahmen sie ihn beiseite in eine Ecke, um ihn in aller
Vertraulichkeit nach der Anzahl seiner Geliebten zu fragen sowie nach allen Jugendsünden, die er begangen,
und nach den Ehemännern, die er in Verzweiflung gestürzt hatte.
Er log nicht allzu sehr und hielt ein rechtes Gleichgewicht zwischen der Wahrheit und der menschlichen
Rücksicht. Nichtsdestotrotz nahm er hin und wieder das Gehabe eines gelangweilten vornehmen Herrn an, das
nicht gut ankam; man fand auch, dass er etwas verbraucht aussah, vermutlich eine Folge seiner Exzesse, und die
braven Leute, die sich Paris als einen Ort der Vergnü- gungen vorstellten, wo man natürlich ein Leben
voller Rehrücken in Madeira- sauce und mit ausländischen Prinzessinnen führt, die euch mit Geschenken
überhäufen, sahen sich mit vielsagender Miene an und sagten sich gegenseitig: "Das ist Paris, wo es so
viele Gelegenheiten gibt, das hat ihn so werden lassen! alle jungen Leute ruinieren dort ihre Gesundheit, ich werde
Charles nicht so bald dorthin schicken!"
Henry, der in seiner Heimat nicht so gern seinen guten Ruf verlieren wollte und dem etwas daran lag, von den
Leuten geschätzt zu werden, lächelte zu alledem bescheiden und nahm immerhin jeweils zur Hälfte die
Bewunderung durch die Dümmlinge und zur anderen die Tadel der Trottel entgegen.
Jules fiel es dagegen schwer, das zu glauben, als er erfuhr, was daran war, das brachte seine Vorstellungen, die er
sich bisher gemacht hatte, durchein- ander. Henry sagte, er wolle keine körperliche Liebe, er brauche etwas
Anderes, und er gab ihm vorteilhafte Beschreibungen von Mme Renaud, ohne zu erwähnen, dass sie vielleicht ein
wenig zuviel Bauch hatte und dass sie im Winter von der Kälte eine rote Nase und bläuliche Wangen bekam;
er erzählte ihm auch nicht all das, was er Morel so eindringlich gestanden hatte an jenem unseligen Tag, an
dem er ihn aufgesucht hatte, nachdem Mme Émilie so grausam zu ihm gewesen war.
Er gestand ihm jedoch teilweise seinen Kummer, aber nur vage, ohne die Dinge genau zu benennen, vielmehr indem
er die kleineren grösser darstellte und die gewöhnlichen poetisch überhöhte und die Geschichte ein
wenig aus- schmückte, um sie wirkungsvoller zu machen. Er sprach mit Jules gern über seine Liebe, und
Jules sprach seinerseits über sein Drama und über Mlle Lucinde; es war ein Austausch von Gefühlen,
wobei jeder in denen, die der andere in seinem Herzen ausschüttete, seine eigenen wiederfand.
Was Henry, schon mehr mit dem Leben vertraut, betraf, so mochte er weniger als Jules diese umfassenden
Bekenntnisse, bei denen euer ganzes Sein an die Person weitergegeben wird, die ihr liebt, er war noch jung und
stand wie er zu den gemeinsamen Hoffnungen, die man sich zu zweit ausbildet, so wie jene Kronen aus Jasmin oder
Flieder, welche die Kinder gemeinsam flechten.