Die erste Éducation Sentimentale


    Er betrachtete die Rhetorik als eine ernste Sache; wenn er an seinem Stil feilte, riss die Übertreibung ihn mit, und er gebrauchte grossartige Ausdrücke für ziemlich nebensächliche Dinge.
    Bis heute war sein Leben dröge und eintönig gewesen, in enge Grenzen eingezwängt, dabei glaubte er doch, für ein weitgespanntes Dasein geboren zu sein, voller Abenteuer und unvorhergesehener Ereignisse, für Kämpfe, das Meer, für ausgefallene Reisen, ausgedehnte Touren durch die ganze Welt.
    Was ihm vorzuwerfen war, war dies: dass er nicht richtig das, was war, von dem unterscheiden konnte, was sein sollte; er litt immer darunter, dass ihm etwas fehlte, er wartete ununterbrochen auf ich weiss nicht was, das jedenfalls nie eintraf.
    Was für Ähnlichkeiten auch immer zwischen Henry und ihm bestanden, so waren sie doch zwei sehr unterschiedliche Männer: Henry war freier, lockerer, unbefangener in seinem Auftreten; Jules dagegen war immer verlegen wie jemand, der erstickt, er war überspannter, starrköpfiger und absonderlicher; dabei besass er einen natürlichen Hang, über sich selbst zu lachen, wenn er sich kühl betrachtete, etwas, das weit entfernt war von der eifernden Hartnäckigkeit Henrys; er besass mehr Eitelkeit und weniger Stolz, er verstand Ironie nicht so gut und wäre ungehaltener als der andere, wenn man von ihm eine Karikatur anfertigen würde.

    Die Birnbäume blühten, die Margeriten und die Primeln zeigten sich schon im Gras, als Henry zu den Osterferien nach Hause zurückkehrte! Mit welcher Freude umarmte er seine Mutter! Mit welchem Vergnügen sah er das Haus wieder! Vor allem welch ein Redeschwall mit Jules!
    Seit dem Morgen gingen sie gemeinsam in der Umgebung spazieren, sie liefen auf den Wegen, die sich zwischen den baumbepflanzten Höfen schlängeln; am Abhang angekommen setzten sie sich auf den Boden, zündeten ihre Zigarren an und blieben da und redeten bis zur Frühstückszeit.
    Es lag eine grosse Wehmut darin, zu zweit die Orte wiederzusehen, die man gemeinsam erlebt hatte, sich bei den Händen zu halten und Schritt für Schritt wieder zu den alten Zeiten zurückzukehren; es bedeutete, das Leben wieder da zu beginnen, wo es am besten war. Wohl sprachen sie über ihre Vergangenheit, doch fanden sie darin nicht so viel Anziehendes, als wenn sie älter gewesen wären; das Leben ist wie ein Bild: damit es schön erscheint, muss man es mit einem grösseren Abstand betrachten.
    In der Isolation, in der er lebte, war Jules sehr erfreut, seinen Freund wieder- zusehen. Er liebte ihn wirklich mit ganzer Seele, mehr als sich selbst, ebensosehr wie seine zukünftigen bedeutenden Werke; Henry war der einzige, der ihn verstand, wenn er redete, er hatte immer die Auffassungsgabe, um seine Ideen aufzunehmen, und ein offenes Ohr für seine vertraulichen Mitteilungen. Henry dagegen genoss es vielleicht nicht so sehr, wieder zu Hause zu sein, wie er sich versprochen hatte, er dachte an Paris und an Mme Renaud. Seit dem Morgen seiner Ankunft langweilte er sich; doch das Essen fand er ausgezeichnet, und der Chambertin schmeckte immer noch ziemlich gut.