Das Herz ist wie die Hand, zuerst zart, rosig, zerbrechlich, dann weniger, aber doch noch ein wenig schwach,
beweglich, gelenkig und zu allem fähig, zum Spiel ebenso wie zum Studieren; doch schnell ist die Haut von
Haaren bedeckt und die Nägel werden hart; beide krümmen sich im Verlauf von Arbeit und Leidenschaft,
sie haben ihre Gewohnheiten und erfüllen ihre Aufgabe, die Hand schneidet das Brot oder zückt das Schwert,
im Herzen sammelt sich Neid und gärt der Ehrgeiz, schliesslich erstarren sie; sie brechen, sie verschliessen
sich, die eine trocknert aus und das andere erlischt.
Sie waren in dem Alter, in dem die Hand anfängt zu zittern, wenn sie über einen Seidenstoff fährt;
in dem das Herz heftiger schlägt, wenn man des Nachts sanfte Stimmen fragen hört: "Bist du da? bist du
es?"
Jules sagte:
–
Wenn Bernardi wieder gesund ist, wird mein Drama aufgeführt, du kommst zur Premiere, es wird einen
überwältigenden Applaus geben, ich gehe von hier weg, ich gehe mit Lucinde, wir leben zusammen, sie
spielt Theater, ich kom- poniere. Du weisst, wie schnell der Erfolg kommt, ich werde ihn haben, du wirst sehen, ich
werde reich sein, ich werde reisen, ich werde ein Leben voller Liebe und Poesie, das Leben eines Künstlers
haben. Ich werde mit ihr nach Spanien, nach Italien, nach Griechenland gehen; ich will mit ihr die Sterne über
einem blauen Meer funkeln sehen, den Duft der Orangen riechen und dabei ihr Haar berühren.
– Erhoffe dir nicht zuviel, antwortete Henry, der sich in ein ebenso schönes Dasein eingerichtet
hatte..., der von den Küssen der Frau träumte, die er liebte, und sich lange, köstliche Tage mit
ihr vorstellte. Er machte sich vielleicht nicht so genaue Vorstellungen von allen Wendungen seiner Zukunft wie
Jules, doch wie er hatte er sie in seinem Herzen eingepflanzt und hütete sie wie ein Idol. Trotz seiner
zurückliegenden Zweifel hegte er die Hoffnung auf ein bevorstehendes Glück, er fühlte es schon in
sich anbrechen und nahm es schon als eine neu entstehende Männlichkeit wahr.
– Du wirst sie sehen, sagte er zu Jules, du wirst sie sehen, und dann wirst du mir erzählen,
ob es viele Frauen wie sie gibt: Sie hat eine besondere Seele, sie liebt Blumen und die Musik, wir lesen gemeinsam
Gedichte, sie versteht sie wie ein Engel.
Lucinde hatte für Jules dieselben Vorzüge, und mehr noch, da sie ein junges Mädchen und Jungfrau
war, entkleidete er sie jeder Materialität des Lebens, mit einem Leib ohne einen Magen, ohne Zehen an den
Füssen, und erhob sie in den Siebten Himmel, über die mit goldenen Fransen gesäumten Wolken. Henry,
der mehr im Leben stand und weniger dem Subjektiven, wie die Philosophen sagen würden,
unterworfen war, liebte Mme Émilie so wie sie war, mit ihrer täglichen Umgebung, dem Milieu, in dem
sie lebte, mit ihrem ganzen Körper und ihrer ganzen Seele, mit all ihren Launen und ihren Abneigungen; aus
alledem bestand sie, all das machte sie zu der, die sie war, das sie von anderen Frauen unterschied, wegen alledem
liebte er sie.